Immobilienwirtschaft 7-8/2019 - page 11

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Im Februar sprach Tübingens OB Palmer von Zwangsbebauungen. Auch der Präsident des
Deutschen Städte- und Gemeindebunds hält eine Verschärfung des Baugebots für erforder-
lich. §176 BauGB zeigt den Weg auf. Aber taugt die Vorschrift wirklich als Problemlöserin?
Letztlich muss jeder Einzelfall einge­
hend durch die Gemeinde geprüftwerden.
Ob und in welchem Umfang dies gesche­
hen ist, kann nur in einem Rechtsmittel-
bzw. Klageverfahren geklärt werden.
Nach meiner Einschätzung ist davon
auszugehen, dass derartigeWiderspruchs-
bzw. Gerichtsverfahren bei den heutigen
zeitlichen Dimensionen der Rechtsstrei­
tigkeiten Jahrzehnte dauern werden und
die Ausbeute der Kommunen bei der
Schaffung von neuem Wohnraum eher
mager ausfallen dürfte.
tern. Hierzu hat sie Eigentümer, Mieter,
Pächter und sonstige Nutzungsberechtigte
insbesondere dahingehend zu beraten, wie
dieMaßnahme durchgeführt werden kann
undwelche öffentlichenKassen Zuschüsse
bereithalten könnten bzw. welche steuer­
lichen Fördermöglichkeiten denkbar sind.
Nicht unerwähnt soll bleiben, dass die
Gemeinde im Regelfall darauf beschränkt
wird, ein erlassenes Baugebot nach Be­
standskraft im Wege der Verwaltungs­
vollstreckung durchzusetzen, da auch für
das Baugebot kein erleichtertes Enteig­
nungsverfahren zur Verfügung steht. Dies
bedeutet, dass die Zulässigkeit der Enteig­
nung unabhängig davon, ob ein Baugebot
erlassen und bestandskräftig geworden ist,
nur nach den strengen Voraussetzungen
der §§ 85 ff. BauGB zu beurteilen ist.
Soweit diese Voraussetzungen der
§§ 85 ff. BauGB nicht erfüllt sind, bleibt
der Gemeinde zur Durchsetzung eines
Baugebots nur der dornenreiche Weg der
Verwaltungsvollstreckung. Daher bleibt
das Baugebot in der Praxis regelmäßig
nur ein Verfahrens- und Beratungs
­
instrument, von dessen Anwendung die
Gemeinden nach wie vor schon allein
wegen des damit verbundenen Zeit- und
Verwaltungsaufwandes Abstand nehmen.
Wegen der Zurückhaltung der Gemein­
den, vomErlass eines Baugebots Gebrauch
zu machen, tendiert dessen Bedeutung in
der Praxis gegen null.
Zusammenfassend ist festzuhalten,
dass Einzelgebote nicht erforderlich er­
scheinen, wenn die Gemeinde nicht plan­
mäßig auf Grund einer Gesamtkonzeption
vorgeht. In diesem Spannungsfeld wurde
bisher auch noch nicht höchstrichterlich
entschieden, ob und wie gegebenenfalls
eine verfehlte kommunale Wohnungs­
baupolitik, die letztlich erst zu einem
dringendenWohnbedarf der Bevölkerung
führte, im Rahmen der Verhältnismäßig­
keit bzw. in der Abwägung zu berücksich­
tigen ist.
Bebauung des betreffenden Grundstücks
objektiv wirtschaftlich zumutbar ist. Ist die
Durchführung des Vorhabens aus wirt­
schaftlichen Gründen einem Eigentümer
nicht zuzumuten, so hat die Gemeinde
von der Anordnung abzusehen.
Bislang seitens der Stadt Tübingen
unerwähnt geblieben ist, dass die Anord­
nung des Baugebots gemäß § 176 BauGB
voraussetzt, dass die alsbaldige Durchfüh­
rung der Maßnahmen aus stadtbaulichen
Gründen erforderlich ist. Das heißt, dass
das bloße Vorliegen eines Bebauungsplans
für die Anordnung eines städtebaulichen
Gebots nicht genügt. Vielmehr müssen
die Gründe, die für eine sofortige Plan­
verwirklichung sprechen, die privaten
Belange deutlich überwiegen. Jedenfalls
müssen die für das städtebauliche Ge­
bot angeführten Gründe in Gewicht und
Dringlichkeit über die Gründe hinausge­
hen, die den Bebauungsplan selbst tragen.
Gemeinden werden
wegen des Aufwands in
der Praxis vom Baugebot
absehen
In der Praxis werden solche Fall
gestaltungen nur höchst selten vorkom­
men. Zuletzt hat sich das Bundesverwal­
tungsgericht im Jahre 1990 in einer Ent­
scheidung zur Schließung einer Baulücke
mit einem Baugebot beschäftigt. Insbe­
sondere ist hierbei zu erwähnen, dass
die städtebaulichen Gebote nach dem
Wunsch des Gesetzgebers die Ultima Ra­
tio darstellen. Dies bedeutet, sie kann nur
dann eingesetzt werden, wenn andereMit­
tel zur Erreichung des Zwecks nicht mehr
erfolgversprechend sind. Auch geht das
Gesetz vom Vorrang einer einvernehm­
lichen Lösung aus. Die Gemeinde hat vor
Erlass eines städtebaulichen Gebots die
Maßnahme mit dem Betroffenen zu erör«
Christian Laudan, Tübingen
„Gerichtsverfahren dau-
ern Jahrzehnte. Deshalb
dürfte die Ausbeute
der Kommunen bei der
Schaffung von neuem
Wohnraum über ein
Baugebot eher mager
ausfallen.“
Christian Laudan,
Fachanwalt für
Bau- und Architektenrecht, Tübingen;
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