Immobilienwirtschaft 10/2016 - page 31

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0.2016
Eine stärkere Tendenz zu Mietverträgen
mit kürzeren Laufzeiten wirkt sich nicht
nur auf den einzelnen Mieter oder Ver-
mieter aus, sondern auf die gesamte Im-
mobilienwirtschaft. Derzeit gelten stabile
Mieteinnahmen als wichtiges Kriterium
bei der Bewertung von Immobilien.
IMMOBILIENBEWERTUNG NEU DEFINIEREN
Sinkt die gewichtete durchschnittliche
Restlauflaufzeit der gewerblichen Miet-
verträge auf Objekt- und Portfolioebene,
können geringere Verkehrswerte und
eine höhere Volatilität die Folge sein.
Dadurch wäre der Markt häufigeren und
stärkeren Zyklen unterworfen. Sowohl die
Wertbeständigkeit als auch das Rendite-
Risiko-Profil der Anlageklasse Immobilie
müsstenneudefiniert werden. Anstelle der
Mietvertragslaufzeit werden mittelfristig
eher Faktoren wie eine gute Mieterstruk-
turierung und eine hohe Flexibilität der
Flächen in den Fokus treten. ImZuge des-
sen werden Single-Tenant-Objekte an At-
traktivität verlieren, während die Bedeu-
tung von vielfältig nutzbarenObjektenmit
einer gemischten Mieterschaft zunehmen
wird. Dementsprechend wird ein aktives
Mietermanagement künftig eine größere
Rolle spielen.
Z
iel des neuen Standards ist eine verbes-
serte und transparentere Sicht auf die
tatsächlichen Investitionen und Anla-
gen und die damit zusammenhängenden
Verbindlichkeiten eines Unternehmens.
Der so genannte IFRS 16 sorgt nicht nur
dafür, dass zusätzliche Kostenfaktoren
wie die Miethöhe, sondern etwa auch die
Länge des Mietvertrags Einfluss auf die
Bilanz nehmen. Die Folge: Obwohl zahl-
reiche Firmen die Stabilität langfristiger
Mietverträge zu schätzen wissen, sind sie
im Zuge der Neuerungen gezwungen, die
Möglichkeiten kurzfristiger Mietverträge
neu zu überdenken – und die gewünschte
Stabilität eventuell zugunsten einer besse-
ren Bilanz zu opfern.
GERINGE VERTRAGSLAUFZEITEN
Kurzfris
tige Mietverträge haben durchaus Vor-
teile. Mit geringeren Vertragslaufzeiten
können sich Unternehmen in einem
dynamischen Markt flexibler bewegen.
Auch ein projektbezogener oder auf-
grund einer Umstrukturierung verän-
derter Flächenbedarf kann auf dieseWei-
se leichter abgewickelt und dem aktuellen
Bedarf angepasst werden. Kurzfristige
Mietverträge scheinen also zunächst eine
attraktive Variante zu sein. Allerdings
sind mit ihnen auch Nebenwirkungen
verbunden – beispielsweise dann, wenn
sich das Risiko, das Vermieter aufgrund
der geringen Vertragslaufzeit eingehen,
in vergleichsweise höheren Mietkosten
niederschlägt. Zudem muss das Thema
Inflationssicherung von Vermietersei-
te künftig anders gehandhabt werden,
da gewerbliche Mietverträge mit einer
kurzen Laufzeit oftmals nicht an einen
Index gebunden sind. Hier gilt es, neue
Lösungen zu finden, um die nach wie
vor steigenden Kosten auch in Zukunft
in den Mieten widerspiegeln zu können.
Eine Möglichkeit stellen in solchen Situ-
ationen Verträge mit gestaffelten Miet-
preisen dar.
Neuer Standard hat Konsequenzen
Gewerbliche Mietverträge
fanden bei der Bilanzierung
bislang nahezu keine Beach-
tung. Anfang dieses Jahres
hat sich das grundlegend
geändert. Alle Unternehmen,
die nach den International
Financial Reporting Standards
(IFRS) bilanzieren, müssen
sämtliche Mietverträge offen-
legen, spätestens ab 2019.
«
Dr. Karim Rochdi, Berlin
Dr. Karim Rochdi
ist Verfasser zahlrei-
cher Studien, die die
Rolle der Immobilie
auf den internatio-
nalen Aktienmärkten
untersuchen. Inzwi-
schen ist er bei der
Beos AG tätig.
AUTOR
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