Immobilienwirtschaft 10/2016 - page 32

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INVESTMENT & ENTWICKLUNG
I
KOLUMNE
den letzten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auch 20 Pro­
zent seiner Einwohner. Erst nach erheblichen Restrukturierungs­
anstrengungen scheint die Wende zum Besseren geschafft.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden 40 Prozent desWelt­
handels über Liverpool abgewickelt, doch seit den 50er Jahren
erlebt die Hafen- und Industriestadt einen gnadenlosen Nieder­
gang. Die Arbeitslosigkeit stieg in den 70er Jahren in einigen
Vierteln auf über 90 Prozent. Mitte der 80er Jahre ging die Stadt
durch die in die Höhe schnellenden Sozialleistungen pleite. Noch
heute gehört Liverpool zu den ärmsten Städten Englands.
In der Regel sind es nicht Ereignisse von außen, sondern un­
günstige politische Strukturen und kurzsichtige Entscheidungen,
die einer Stadt den Abstieg bescheren oder den Aufstieg verweh­
ren. In Gesprächen höre ich den einen oder anderen, der den
Vergleich zwischen Berlin und London zur Befeuerung lokal­
patriotischer Ambitionen missbraucht und den Brexit schaden­
froh als eigenen Standortvorteil kommentiert. Mit Schaudern
habe ich den Bulwiengesa-Vergleich zwischen Berlin und London
gelesen, bei dem die kleine Stadt in Brandenburg, befeuert von
ausgewählten Statistiken, nicht schlecht abschneidet. Doch sol­
che ungleichen Paarungen können nur unglücklich machen und
von den tatsächlichen Aufgaben ablenken. Denn die Ausgangs­
bedingungen und Entwicklungsstände der beiden Städte sind
völlig andere. Nach dem Krieg hat Berlin die Finanzindustrie an
Frankfurt, die Hightech-Industrie an München und die Medien
an Hamburg verloren.
B
ei meinem Vortrag auf der Heuer-Dialog-Veranstaltung
schaue ich in bestens gelaunte und braungebrannte Ge­
sichter. Der Immobilienbranche geht es blendend. Die Eu­
phorie scheint die Decke des Vortragssaales zu heben. Ich denke
dabei an die Städte, die ich gerade gesehen habe, und mir wird
klar, dass gerade in Zeiten besonderer Prosperität die Keime des
Niedergangs gesät werden. Wie kann das sein?
Venedig, Neapel, Pompei und Paestum im Süden, London,
Birmingham, Liverpool und Manchester im Norden waren in
diesem Sommer meine Stationen. Jede dieser ruhmreichen Städ­
te hat sich während ihrer wechselvollen Geschichte wieder und
wieder mit atemberaubender Brutalität verändert. Städte kön­
nen explosionsartig wachsen und wenige Generationen später
implodieren. Sie können ins Zentrum des Geschehens oder an
den Rand der Ereignisse geschleudert werden. Auf dem Canal
Grande mit seinen prächtigen, morbiden Palästen wird sichtbar,
dass Venedig einst zu den reichsten Städten der Welt gehörte.
Aber die Entdeckung Amerikas war ihr Niedergang. Heute ist
die Stadt ein Museumsdorf.
Und was ist noch übrig von der Pracht und wirtschaftlichen
Macht der neapolitanischen Festungen, Kirchen und Paläste?
Staub, Müll, Arbeitslosigkeit und Kriminalität sind heute die
vorherrschendenThemen. Auch dem englischen Norden hat der
Strukturwandel stark zugesetzt. Manchester hat dem Kapitalis­
mus und der Industrialisierung zumDurchbruch verholfen. Aber
das ehemals wichtigste industrielle Zentrum der Welt verlor in
Städte können scheitern
Foto: Dirk Weiß
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