Immobilienwirtschaft 10/2016 - page 33

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Als ich Anfang der 90er Jahre nach Berlin kam, war die Stadt
ein ausgebombter, abgetakelter Ozeandampfer, havariert und
vergessen in den Eiswüsten des Kalten Krieges. Der Potsdamer
Platz, die ehemals verkehrsreichste Kreuzung Europas, verlassen,
die Teststrecke einer winzigenMagnetschwebebahn umkurvte in
weitem Rund die Ruine des ehemaligen Luxushotels Esplanade.
Noch bis 2008 war Berlin mit nur 3,2 Millionen Einwohnern
eine leere, schrumpfende Stadt. Riesige Wohnungen in bester
Lage, die kaum einer wollte, die demografische Perspektive nega­
tiv. Mittlerweile laufen die Dinge etwas besser. Und schon breitet
sich hochmütige Euphorie innerhalb der Runde der Immobili­
enmanager aus. Aber in derMetropolregion Berlin-Brandenburg
leben heute immer noch keine vier Millionen Menschen.
Dagegen ist Londonmit über 13Millionen die größte Metro­
pole Europas. Das nach New York wichtigste Finanzzentrum der
Welt ist hoch vernetzt und globalisiert. Über 30 Wolkenkratzer
mit einer Höhe von mehr als 150 Metern stehen bereits heute
dort. Mehr als 200 Hochhausprojekte sind genehmigt. Diese Di­
mensionen sind in Deutschland nur als Fata Morgana sichtbar.
London beeindruckt durch seineWeltoffenheit. Rund 40 Prozent
der Einwohner sindMigranten. Die liberalisierte Stadt hat von der
Globalisierung so stark profitiert wie kaum eine andere.
Allein in den vergangenen sieben Jahren ist die Wirtschafts­
leistung Londons um rund ein Drittel gewachsen. Der Wert der
Wohnimmobilien in den zehn teuersten Stadtvierteln soll dem
gesamtenHausbestand in Schottland, Wales undNordirland ent­
sprechen. Die boomende Hauptstadt erwirtschaftet mittlerweile
mehr als ein Fünftel der gesamten britischen Wirtschaft.
VIELES KANN MAN VON LONDON LERNEN
Denn mit dem Nieder­
gang des Empire schrumpfte die Einwohnerzahl bis Ende der
80er Jahre um fast ein Viertel. Als ich nach meinem Studium
dort arbeitete, befand sich das Büro von Norman Foster in einem
runtergewirtschafteten Teil der Stadt. Richard Rogers war, ge­
fühlt, ganz weit draußen. Die Stadt sah häufig hässlich aus, die
Stimmung war gedrückt. „Recession“ sollte noch für die ganze
erste Hälfte der 90er Jahre das bestimmende Wort bleiben.
Aber die Mieten waren vergleichsweise günstig. Das zog junge
Kreative an, und mit der rauschenden Globalisierung begann
ein rasanter Aufschwung. Heute ist die irrwitzige Preisspirale
für Wohnungen und Büros schon längst zum schwerwiegenden
Standortnachteil geworden. Gebaut wird viel. Aber nur noch für
die Superreichen. Die Stadt hängt amHaken der Eigentümer und
Spekulanten, die einen Großteil des Wohlstandes abschöpfen.
Die Lebensqualität der meisten sinkt und die Wut steigt. Mit
der Brexit-Entscheidung erlebt London gerade die Rache der
Zurückgebliebenen. Um diese Entwicklungen in Deutschland
zu dämpfen, ist vorrangig das soziale Wohnungsproblem in den
Städten zu lösen. Dabei darf sich die Immobilienbranche nicht
nur als Profiteur, sondern auch als Helfer verstehen. Sie darf die
Arbeit am Zusammenhalt der Gesellschaft nicht den kommu­
nalen Wohnungsbaugesellschaften und der öffentlichen Hand
allein überlassen. Gerade drohen wir krachend zu scheitern. Wir
verpassen die historisch einmalige Chance, die Städte auf ein
neues Qualitätsniveau zu heben. Stolz auf das Erreichte kann hier
keiner sein. Bei den viel zu niedrigen Zinsen kann jeder bauen.
TROTZDEM
werden immer noch zu wenig Wohnungen gebaut.
Und zu viele sind zu teuer. DieWohnungen, die realisiert werden,
bilden nicht den Bedarf ab, sondern konzentrieren sich zumeist
auf das kapitalstärksteMarktsegment. Die Folgen sind in London
bereits lange sichtbar. Die Innenstädte verkommen zu langwei­
ligen Bankiersgettos und die Kreativen ziehen weiter. Nur inklu­
sive, offene Gesellschaften sind attraktiv fürMenschenmit Ideen.
Nur Städte mit Ideen können auf Dauer bestehen.
Deshalb, Expo-Teilnehmer: Seid nicht mit teurem, langwei­
ligem „Weitersowiebisher“ zufrieden! Zu lange wurde bereits an
fragwürdigen Standards festgehalten, dreidimensionales Planen
hinausgeschoben, Prozesskultur belächelt und modulares Bauen
abgetan. Die Interessenskonflikte der Beteiligten verdarben die
Ergebnisse. Und imBürobau werden immer noch Raster gezählt,
anstatt Räume zu bauen. Es ist höchste Zeit, bessere und vor allem
angemessenereWohnungen, Büros, Hotels undQuartiere zu bau­
en. Lasst uns auf dieser Expo damit anfangen.
Viel zu lange wurde an fragwürdigen Standards festgehalten, dreidimensionales Planen hinausgeschoben und modulares Bauen abgetan.
Mein Appell an alle Expo-Teilnehmer: Kein „Weitersowiebisher“!
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ZUR PERSON
Eike Becker
leitet seit Dezember 1999 mit Helge Schmidt gemeinsam das Büro Eike Becker_Architekten in Berlin.
Internationale Projekte und Preise bestätigen seitdem den Rang unter den erfolgreichen Architekturbüros in Europa. Eike Becker_Architekten arbeiten
an den Schnittstellen von Architektur und Stadtplanung mit innovativen Materialien und sozialer Verantwortung.
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