Immobilienwirtschaft 10/2016 - page 105

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auch im Innenverhältnis erfordern ein
gutes Fingerspitzengefühl. Wenn der Auf-
sichtsrat die Arbeit des Vorstands hinter-
fragt, prallen fast immer auf beiden Seiten
starke Persönlichkeiten aufeinander.
FORTBILDUNG
In dem Schwachpunkt feh-
lender Unabhängigkeit und eingeschränk-
ter Gesamtkompetenz ist die deutsche Im-
mobilienwirtschaft auf gutem Kurs. Die
ICG Initiative Corporate Governance der
deutschen Immobilienwirtschaft reift in
diesen Tagen erkennbar zu der Bedeut-
samkeit heran, die sie längst verdient.
Mit der ICG Real Estate Board Acade-
my werden zwei aufeinander aufbauende
Fortbildungen angeboten, die speziell für
allgemein kundige Aufsichts- und Beiräte
aus der Immobilienwirtschaft gestaltet
sind. Unterstützt vom Zentralen Immo-
bilienAusschuss ZIA, demeinflussreichen
Verband der Branche, ist hier ein Selbst-
regulierungsprozess in Gang gekommen,
wie es vor Jahren schon in der Szene der
Immobilienbewerter positiv gelang.
Einen guten Selbsttest bietet die Deut-
sche Börse an. Auf derenWebseite ist eine
Auswahl von 100 öffentlichen Prüfungs-
fragen online gestellt, wie sie Aufsichtsräte
richtig beantworten müssen, um von der
Deutschen Börse auf Zeit als AR zertifi-
ziert zu werden.
E
r soll das Unternehmen vorausschau-
end beaufsichtigen und, wenn etwas
schiefgeht, wegen seiner vermuteten
Mitschuld persönlich haften. Der Rat
eines kundigen Aufsichtsrats in der Im-
mobilienwirtschaft ist zunehmend gefragt.
Aber wehe, er greift damit faktisch opera-
tiv in das Unternehmensgeschehen ein…
BEDEUTUNGSVOLLE ARBEIT MIT HISTO-
RISCH SCHLECHTER REPUTATION
Die Re-
putation dieses zweifelsfrei immer bedeu-
tungsvoller werdenden Berufszweigs ist
historisch bedingt. Die verantwortlichen
Vorstände, aber auch deren Aufsichtsräte
machten in den großen Krisen der nahen
Vergangenheit oft keine gute Figur. Zu
oft wurden diese Positionen verdienten
Freunden des Hauses zugesprochen, de-
nen distanzierte Objektivität getrost ab-
gesprochen werden durfte.
Zudem kann man nicht einen eh
schon fachfremden Politiker aus dem
Kontrollgremium des Berliner Flugha-
fens befreien, um ihn durch den nächsten
Politiker zu ersetzen. In solchen Fällen ist
besondere Sachkompetenz leider nicht das
Initiative Aufsichtsrat
Er ist schlecht bezahlt und
macht seinen Job aus Gefäl-
ligkeit gepaart mit Eitelkeit,
so das Image des deutschen
Aufsichtsrats. Ob es stimmt,
sei dahingestellt. In der
Immobilienwirtschaft ist man
jedenfalls auf besserem Kurs.
«
Prof. Dr. Winfried Schwatlo, München
wesentliche Kriterium der Wahl. Und das
kostet letztlich Vertrauen und Akzeptanz.
AUF LANGFRISTIGEN ERFOLG AUSGERICH-
TETE UNTERNEHMENSFÜHRUNG
Auf der
anderen Seite hat sich die Messlatte vor-
ausschauender, auf langfristigen Erfolg
ausgerichteter Unternehmensführung
längst durchgesetzt. Offensichtlicher
Dilettantismus wird abgestraft. Eine sol-
che „nachhaltige“ Strategie funktioniert
jedoch nur, wenn das Unternehmen an
klaren Werten orientiert geführt wird.
Plakative Imagebotschaften sind out, in
das Unternehmen implementierte Werte
und deren stetige Kontrolle und Hinter-
fragung sind in. Und das gelingt nur, wenn
die Weichen von oben gestellt, aber auch
von unten eingefordert werden.
DIVERSITY ON BOARD UND SOZIALE KOM-
PETENZ
Geeignete Kriterien für eine pro-
fessionelle Bordbesetzung werden heute
mit dem Schlagwort „Diversity on Board“
zusammengefasst. Es geht hier nicht vor-
rangig darum, mehr Frauen in die Gre-
mien zu bringen, wenngleich das durch-
aus einen wesentlichen Punkt darstellt.
Gefragt sind vielmehr unterschiedliche,
sich im Aufsichtsrat ergänzende Kompe-
tenzen, Charaktere undGeschlechter. Und
immer häufiger werden in die immobili-
enwirtschaftlichen Aktiengesellschaften
und großen GmbHs Aufsichts- und Bei-
räte berufen, die sich nicht nur zuvor ope-
rativ bewährt haben, sondern sich auch
die einzelnenWerkzeuge eines modernen
Aufsichtsrats zugelegt haben.
Mitglieder von Kontrollgremien be-
nötigen neben Expertise eine stark aus-
geprägte soziale Intelligenz. Weder der
Aufsichtsratsvorsitzende noch der Präsi-
dialausschussvorsitzende sollen sich als
Chef darstellen. In der Außenwahrneh-
mung bleibt das unbedingt der CEO bzw.
der Vorstand. Zurückhaltung und gelebte
Wertschätzung in der Öffentlichkeit, aber
Prof. Dr. Winfried Schwatlo
FRICS lehrt Immobilienwirt-
schaft an der Nuertingen-
Geislingen University. Er ist GF
der Schwatlo Management
GmbH und Vorstand der Ini-
tiative Corporate Governance
der dt. Immobilienwirtschaft.
AUTOR
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