Immobilienwirtschaft 3/2015 - page 33

33
0
3.2015
Davon elf im Bezirk Neukölln. Ziel ist es, die Lebensverhältnisse
zu verbessern und die soziale Infrastruktur so zu entwickeln, dass
das nachbarschaftliche Miteinander gestärkt und das Wohnum-
feld verbessert wird. Wesentlich ist dabei die Zusammenarbeit
mit den Akteuren aus den Einrichtungen vor Ort.
Doch auch auf Neubaugebiete lässt sich die Idee der Nachbar-
schaftlichkeit übertragen. Die Bahnstadt Heidelberg ist ein neuer
Stadtteil direkt neben dem Hauptbahnhof. Auf einer Fläche von
116Hektar Baulandwerden 2.500Wohnungen für 5.000 bis 6.000
Menschen und 7.000Arbeitsplätze entstehen. Mit demEinzug der
ersten Bewohner wurde auch ein Nachbarschaftszentrum eröff-
net. Hier ist ein zentraler Kommunikations- und Begegnungsort
für die Bewohner des Stadtteils entstanden. Die Aktivitäten sind
vielfältig: Frühstück, Kinderkino, Chor, Babygruppe, Spieletreff
oder Boule. Innerhalb von kurzer Zeit hat sich dadurch eine Iden-
tifikation mit den Nachbarn und der Nachbarschaft entwickelt.
Menschen zusammenbringen
Für mich als Planer stellt sich im-
mer häufiger die Frage, wie Menschen zusammenkommen, wie
wir Menschen auch in der Stadt zusammenbringen. Vor Kurzem
habe ich in München einen Vortrag gehalten. Jeder Gast erhielt
mit der Einladung eine ganz persönliche Frage zugeschickt. Ent-
lang des Vortrags kamen auch einige dieser Fragen an die Reihe
und es entwickelte sich schnell eine lebendige Diskussion. Die
Frage, die die größten Emotionen weckte, war: Was wird aus den
Dörfern? Das hat alle bewegt. Dörfer stehen für eine Art Urvor-
stellung, Gemeinschaft, Ruhe, Intimität, Nachbarschaft, Natur,
eine Welt, die noch in Ordnung ist, Kinderparadies, Generatio-
nensolidarität und Einfachheit.
Was wäre, wenn all das auch in der Stadt zu haben wäre, ohne
endlose Pendelfahrtenmorgens und abends?Was wäre, wennwir
Hochhäuser oder ganze Quartiere als Dörfer betrachten wür-
den, mit eigenem Marktplatz, Gaststätte und vielem, was sonst
ein Dorf bietet? Was wäre, wenn wir durch die Stadtgesellschaft
mutierte Dörfer errichten würden? Großstädtische Dörfer, die
Gemeinschaft bieten ohne provinzielle Enge? Neue Dörfer mitten
in der Stadt, bewusst geformte Nachbarschaften, die aus Institu-
tionen, Gruppen und Einzelpersonen zusammengesetzt sind, die
den anderen etwas geben und sich integrativ verhalten?
Gesellschaft bauen
Stadtplaner meinen auch mit schlechter
Architektur gute Städte und gute Quartiere bauen zu können.
Eine Vorstellung, die mich immer ganz nervös werden lässt. Wir
brauchen an dieser Stelle größere Ambitionen. Wir brauchen eine
soziale Utopie, die Nachbarschaften neu denkt, die sich nicht da-
mit begnügt, Häuser, Straßen und Plätze zu bauen, sondern die
Gesellschaft baut, indem sie Menschen zusammenbringt.
Zurzeit beschäftigen wir uns mit zwei Konversationspro-
jekten für die CG Gruppe. Ehemalige Bürohochhäuser, die zu
Wohnzwecken umgenutzt werden. In den oberen Etagen sind
viele möblierte Miniapartments mit 1,5 bis zwei Zimmern vor-
gesehen. Im großen Sockel dieser Hochhäuser planen wir einen
zeitgenössischen Marktplatz, eine Kommunikationszone, in der
sich Pritvatheit und Öffentlichkeit treffen. Die Räume sind eine
Mischung aus Platz und Wohnzimmer für die Nachbarschaft.
In die große marktartige Halle sind einzelne Räume eingestellt
wie Concierge, Bibliothek, Kino, Wintergarten, Sonnenterrasse,
Kaminzimmer, Küche für gemeinsames Kochen, ein Restaurant,
Café, Arbeitsräume und ein Waschsalon.
Eine neue Form von Platz, auf dem ganz unterschiedliche
Menschen zusammenkommen, zum Miteinandersprechen und
zum Beobachten. Ein zeitgenössischer Raum des Sozialen, eine
Bühne, die individuell bespielt und genutzt werden kann, ein
Wohnzimmer zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen,
ein Raum des Übergangs, viel Platz, der der ganzen Nachbar-
schaft gehört. Eine Mischung aus Hotellobby, Jugendherberge,
Schloss, Marktplatz und Favela. Eine Mischung aus innen und
außen, privat und öffentlich. Viel zu häufig versuchen wir mit
demFaustkeil alsWerkzeug einen Transistor zusammenzubauen.
Dabei sollten wir uns nicht nur mit der Errichtung von Häusern,
Straßen und Plätzen zufriedengeben. Die Aufgabe ist es, urbane
Dörfer zu denken und zu realisieren. Mit öffentlichenNutzungen
undOrten, an denenMenschen sich einfach so begegnen undwie
selbstverständlich zu Nachbarn werden.
Was wäre, wenn wir Hochhäuser oder ganze Quartiere als Dörfer
betrachten würden, mit eigenem Marktplatz und eigener Gaststätte?
Großstädtische Dörfer, die Gemeinschaft bieten ohne provinzielle Enge?
«
zur person
Eike Becker
leitet seit Dezember 1999 mit Helge Schmidt gemeinsam das Büro Eike Becker_Architekten in Berlin.
Internationale Projekte und Preise bestätigen seitdem den Rang unter den erfolgreichen Architekturbüros in Europa. Eike Becker_Architekten arbeiten
an den Schnittstellen von Architektur und Stadtplanung mit innovativen Materialien und sozialer Verantwortung.
1...,23,24,25,26,27,28,29,30,31,32 34,35,36,37,38,39,40,41,42,43,...76
Powered by FlippingBook