MARKT UND MANAGEMENT
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3|2018
dings sieht die Expertin dabei zwei Hindernisse.
„Für Wohnungsunternehmen kann die Zusam-
menarbeit mit einem Marktteilnehmer, der eine
Monopolstellung anstrebt, problematisch sein“,
führt sie aus. „Und dieMieter haben ein begrenztes
Zeitbudget und sind nicht unbedingt bereit, noch
bei einer weiteren Plattformmitzumachen“ – viele
sind ja bereits auf Facebook oder einem anderen
sozialen Netzwerk aktiv.
Die bisherigen Ergebnisse der vhw-Untersuchung
bewerten die Nachbarschaftsplattformen positiv.
Die im Rahmen der Studie befragten Nutzer er-
klärten demnach, dass sie dank der Plattformen
mehr reale Kontakte in ihremWohnquartier haben.
„Das müssen nicht unbedingt gute Freunde sein“,
verdeutlicht Becker. „Auch lose Bekanntschaften
tragen dazu bei, sich imQuartier zuhause zu fühlen.
Insofernwird durch dieNachbarschaftsplattformen
tatsächlich soziales Kapital vor Ort aufgebaut. Das
Gefühl der Anonymität sinkt und die Identifikation
mit der Nachbarschaft nimmt zu.“ Warum das so
ist, erklärt die vhw-Mitarbeiterin folgendermaßen:
„Nachbarschaftsplattformenmachen esMenschen
mit Berührungsängsten leichter, imrealen Leben in
Kontakt zu anderen Leuten zu treten. Denn sie sind
gewissermaßen ein Zwischenschritt zwischenAno-
nymität und Face-to-Face-Kommunikation. Heute
fällt es vielen leichter, sich online vorzustellen, als
einfach mal an der Tür zu klingeln.“
Darüber hinaus zeigt die Untersuchung des vhw,
dass Nachbarschaftsplattformen keine Domäne
von jungen Leuten sind. Vielmehr ist ein Großteil
der Nutzer zwischen 45 und 60 Jahre alt. Auch
werden die Netzwerke nicht nur in Großstädten
genutzt. „Im ländlichen und kleinstädtischen
Raum“, sagt Anna Becker, „erfüllen die Nachbar-
schaftsplattformen in erster Linie den Zweck, In-
formationen zu bündeln undMenschen in Kontakt
zu bringen.“
Projektentwickler setzt auf App
Um dieses Ziel zu erreichen, setzen manche Pro-
jektentwickler allerdings nicht auf die großenPlatt-
formen, sondern auf eigens für ihre Bedürfnisse
entwickelte Instrumente. Die Jost Hurler Gruppe
beispielsweise hat sich für ihr gemischt genutz-
tes neues Quartier Schwabinger Tor in München-
Schwabing vom Start-up Casavi eine App bauen
lassen. Mit dieser Schwabinger-Tor-App, sagt Dr.
Wolfgang Müller, Geschäftsführer der Jost Hurler
Gruppe, „wollen wir den Gedanken einer guten
Nachbarschaft in die digitale Welt verlängern und
damit dasMiteinander vonMenschen unterschied-
lichster sozialer Hintergründe und Lebensstile in
unserem Quartier fördern.“ Über die App können
Bewohner Dinge teilen, Hilfe beim Einkaufen an-
bieten oder einen Nachbarn bitten, während des
Urlaubs die Blumen zu gießen.
Auf ein anderes Mittel, um den Austausch unter
den Bewohnern zu fördern, setzt dieWohnungsge-
nossenschaft Kleefeld-Buchholz eG in Hannover.
Sie begann 2015 damit, in ihren Häusern das vom
Unternehmen mieterinfo.tv entwickelte Digitale
Brett anzubringen (siehe auch S. 44 ff.). Dabei
handelt es sich um einen im Eingangsbereich des
Hauses angebrachten Bildschirm, mit dem die
Genossenschaft und ihre Kunden miteinander
kommunizieren können. Darüber hinaus existiert
seit Mai 2017 auch das Modul „VonMieter zuMie-
ter“, mit dem sich die Bewohner untereinander
austauschen können.
„Seither wurden durchschnittlich etwa zehn
Nachrichten proMonat veröffentlicht“, berichtet
Christian Petersohn, Vorstandsvorsitzender der
Kleefeld-Buchholz eG. „Dabei geht es z. B. umdie
Aufforderung an die Nachbarn, Ordnung zu halten
und Türen zu schließen.“ Einmal lud ein Paar aber
auch die ganze Hausgemeinschaft zur Hochzeit
ein, und eine Mieterin machte auf ihren Gym-
nastikkurs aufmerksam. Als besonders nützlich
erwies sich das Digitale Brett bei der Suche nach
entlaufenen Haustieren: Bereits zweimal konnte
auf diesem Weg eine ausgebüxte Katze ausfindig
gemacht werden.
Völlig unkontrolliert ist die Kommunikation in-
des nicht. „Wenn ein Mieter eine Nachricht am
Digitalen Brett eingibt, erscheint diese bei uns
im System“, erläutert Petersohn. „Wir prüfen
dann die Nachricht und geben sie, wenn nichts
dagegen spricht, innerhalb eines Tages frei.“ Als
Zwischenfazit hält Petersohn fest, „dass die Bild-
schirme einen wichtigen Beitrag zu einer guten
Nachbarschaft leisten.“
Wie die Plattformen Geld verdienen
Die großenNachbarschaftsplattformen zeigen sich
zuversichtlich, weiter zuwachsen – obwohl bisher
weder Nextdoor noch nebenan.de in Deutschland
Geld verdient haben. Beide Angebote sind für die
Nutzer kostenlos, und Werbung kann bisher nicht
gebucht werden. Das allerdings dürfte sich künf-
tig ändern. In den USA arbeitet Nextdoor bereits
jetzt mit Sponsored Posts, also mit Anzeigen von
lokalen Gewerbetreibenden.
Den Vorteil, dass Werbekunden auf den Nach-
barschaftsplattformen eine geographisch genau
definierte Zielgruppe erreichen, will sich auch
nebenan.de zunutze machen. Gründer Christian
Vollmann denkt z. B. an ein neues Restaurant, das
den Nachbarn ein Eröffnungsangebot macht, oder
an einen Friseursalon, der einen kurzfristig frei
gewordenen Termin anbietet. Darüber hinaus kann
er sich vorstellen, dass Nutzer, die keineWerbung
empfangen wollen, für eine solche Premiummit-
gliedschaft zur Kasse gebeten werden.
Ein digitales schwarzes
Brett bietet Mietern und
Genossenschaftsmit-
gliedern die Möglichkeit,
sich auszutauschen
Nachbarschafts-
plattformen wollen
nachbarschaftliche
Aktivitäten fördern und
so die Identifikation mit
dem Quartier stärken
Quelle: mieterinfo.tv
Quelle: nebenan.de