DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 8/2017 - page 29

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Die Photovoltaikmodule in der Giebelfassade der
Havensteinstraße 20/22 sind nicht zu übersehen.
Sie sind ein Zeichen dafür, dass das landeseigene
Berliner Wohnungsunternehmen degewo im be-
schaulichen Stadtteil Lankwitz etwas Besonderes
realisiert hat: ein sog. Zukunftshaus, das – zumin-
dest rechnerisch – 100% des Wärmebedarfs und
knapp die Hälfte des Strombedarfs aus eigenen
Quellen deckt. „In unserem Zukunftshaus“, sagt
degewo-Vorstand Christoph Beck, „investierenwir
in innovative und nachhaltige Technologien, die in
Zukunft breite Anwendung imWohnungsbestand
finden könnten.“
Ungewöhnlich sind dabei nicht so sehr die ein-
zelnen technischen Elemente, die das von Prof.
Dr. Friedrich Sick von der Hochschule für Tech-
nik und Wirtschaft (HTW) Berlin entwickelte
Konzept vorsieht. Bemerkenswert ist vielmehr
die Konsequenz, mit der diese Elemente zu ei-
nem Gesamtkonzept zusammengeführt wurden.
Fassadendämmung, Nutzung der Sonnenenergie
für die Erzeugung von Strom und Wärme sowie
Speicherung von Strom und Wärme vor Ort sind
die wichtigsten Elemente des Konzepts. Ange-
wandt wird dieses an einem 1955 errichteten,
8-geschossigen Wohnhaus mit 64 Wohnungen.
Energiekonzept auf Solarbasis
Um den Wärmeverbrauch deutlich zu reduzieren,
brachten die Verantwortlichen die Gebäudehülle
auf Passivhausstandard. Die bereits vorhandene
8 cm dicke Dämmung aus mineralischem Dämm-
stoff wurde zu diesem Zweck mit einer 12 cm
dicken Schicht aus Polystyrol-Hartschaum ver-
stärkt. Zudemwurden dreifach verglaste Fenster
eingebaut. Die Frischluftzufuhr erfolgt über eine
automatische Be- und Entlüftungmit Wärmerück-
gewinnung.
Für die Energieerzeugung sorgen 216 Photovol-
taik-Module, die eine Leistung von 73,2 kWp ha-
ben. Hinzu kommen 121 Solar-Hybrid-Module,
die sowohl Strom (31,5 kWp) als auch Wärme
(87 kW) erzeugen. Das reicht aus, um die rechne-
risch benötigte Heizwärme für das gesamte Haus
zu produzieren. Weil die Wärme aber nicht im-
mer dann benötigt wird, wenn die Sonne scheint,
speichert ein neben dem Gebäude angebrachter
Erdtank Wärme. Dieser 950 m
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große sog. Tank
besteht bis zu einer Tiefe von 1,5 m aus mehre-
ren Schichten Erdreich, in denen Polyethylen-
Leitungen verlegt sind. Die auf diese Weise ge-
speicherte Wärme wird über eine Wärmepumpe
nutzbar gemacht, wobei das System im Sommer
zur Kühlung dient.
Für den Fall, dass der Wärmeverbrauch doch höher
sein sollte als berechnet, haben sich die Verant-
wortlichen ein Hintertürchen offengehalten: Der
vorhandene Nahwärmeanschluss ist zwar stillge-
legt worden, lässt sich aber bei Bedarf reaktivie-
ren. Gespeichert wird auch der Solarstrom, und
zwar in einem Redox-Flow-Speicher mit einer
Kapazität von 70 kWh. Anders als bei der Wärme
ist aber beimStromvon vornherein klar, dass nicht
der gesamte Bedarf, sondern nur etwa die Hälfte
am Gebäude selbst erzeugt werden kann.
Mieter müssen sich umgewöhnen
An die Mieter stellt dieses Energiekonzept einige
Anforderungen. Wie in jedem Passivhaus sollten
sie darauf verzichten, die Fenster zu öffnen, und
stattdessen auf die Lüftungsanlage vertrauen.
Wenn sie die Fenster doch auf Kipp stellen, hat
das unangenehme Folgen: Ist die Wohnung erst
einmal ausgekühlt, braucht die Heizung lange,
um wieder für eine angenehme Temperatur zu
sorgen. Die Planer entschieden sich nämlich für
eine Deckenheizung aus Kapillarrohrmatten, die
mit niedriger Vorlauftemperatur arbeitet. Diese
Wahl hatte zur Folge, dass die Decke um rund
20 cm abgehängt werden musste, so dass die
Raumhöhe jetzt noch etwa 2,60 m beträgt. Gra-
vierender für die Mieter ist eine andere Auswir-
kung: „Sie dürfen nicht in die Decke bohren“,
sagt degewo-Projektleiterin Martina Lindebaum.
Sollten die Bewohner gegen diese Vorschrift ver-
stoßen, droht ein Wasserschaden.
Obwirklich alle Bewohner diese Vorgaben einhal-
ten werden, stellten Wohnungswirtschaftler im
Rahmen einer vomFachmagazin „immobilien
Christian Hunziker
freier Immobilienjournalist
Berlin
Quelle: degewo, Foto: Tina Merkau
Quelle: degewo, Foto: Georgios Anastasiades
Eine Kombination vieler Bausteine – u. a. großflächige
Solarmodule (Photovoltaik und Solarthermie) bilden
die technische Basis des Zukunftshauses
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