DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 1/2016 - page 11

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mehr. „Das Viertel war wie aus der Zeit gefallen“,
erinnert sich Gewofag-Bereichsleiter Robert
Zengler an die Zeit vor Beginn der ersten Sanie-
rungsmaßnahmen. Über 80 % der Wohnungen
hätten nur aus ein bis zwei Zimmern bestanden;
für Familien mit Kindern sei kaum Platz gewesen.
Entsprechend einseitig hatte sich die Bewohner-
struktur im Viertel entwickelt: überwiegend alte
Menschen, viele davon alleinstehend, und ein
über dem städtischen Durchschnitt liegender
Anteil ausländischer Mitbürger. Zusätzlich be-
lasteten Probleme mit Alkohol und Drogen das
Klima. Kurz: Das Viertel rund um den Piusplatz
hatte einen schlechten Ruf. Am Piusplatz wohne
man „hinter dem Ostbahnhof“, hieß es ein wenig
despektierlich.
Neuer Wohnraum
Eine Sanierung war also unausweichlich. „Das
Viertel brauchte dringend neuen Wohnraum“,
sagt Zengler. „Große Wohnungen für Familien,
barrierefreie für alte und behinderte Menschen.“
Mit demZuzug junger Familienwerde ein frischer
Wind durch das leicht angestaubte Piusplatz-
Quartier wehen, so das Kalkül der Planer. Das
Viertel werde sich beleben und sozial stabilisie-
ren. Ihnen war allerdings auch klar, dass sich die
Probleme allein mit baulichen Maßnahmen kaum
lösen ließen.
Um Familien anzusprechen und älteren Mietern
das Leben zu erleichtern, musste sich auch das
Wohnumfeld verbessern. Also schnürte das städ-
tische Wohnungsunternehmen ein Gesamtpaket
aus baulichen und sozialen Maßnahmen, das für
seinen ganzheitlichen Ansatzmit demBundespreis
Soziale Stadt 2010 und zwei Jahre darauf mit dem
Nationalen Preis für integrierte Stadtentwicklung
und Baukultur ausgezeichnet wurde. Der Gewo-
fag sei es gelungen, die Siedlung zugleich bau-
technisch, ökologisch, demografisch und sozial
aufzuwerten, lobte die Jury.
Die Arbeiten für den ersten Bauabschnitt began-
nen im Jahre 2011. Nördlich und südlich des Pi-
usplatzes wurden vier sog. Passivhäuser mit je 16
familiengerechten und barrierefreienWohnungen
errichtet. Die großzügigen Grünanlagen zwischen
den dortigen Bestandshäusern boten Platz genug
für eine behutsame Nachverdichtung, die Rück-
sicht nimmt auf dieWeite und Aufenthaltsqualität
der Innenhöfe. Im Süden bilden die kompakten
Baukörper der Passivhäuser sogar den architek-
tonisch logischen Abschluss des Innenhofes zur
bislang offenen Seite an der Ödkarspitzstraße.
Mit dem Bau der Passivhäuser beschritt die Ge-
wofag Neuland: „Im Neubau haben wir schon im-
mer die Vorgaben der Energieeinsparverordnung
übertroffen“, sagt Bereichsleiter Robert Zengler.
„Nun wollten wir einen Schritt weiter gehen.“
Passivhäuser erfüllen besonders strenge Energie-
standards (siehe DW 10/2015, S. 38). Allerdings
verlangt ein Passivhaus von denMietern einwenig
technisches Verständnis; besonders das Lüftungs-
verhalten kann zumProblemwerden. Die Gewofag
hat deshalb eineMieterbefragung gestartet, Ende
2015 sollen die Ergebnisse vorliegen.
Großes grünes Kreuz
Parallel zum Bau der Passivhäuser ließ die Stadt
die Außenanlagen, die sich wie ein großes grünes
Kreuz mit dem Piusplatz als Fuß durchs Viertel
ziehen, neu gestalten. Um die Weitläufigkeit der
Anlage zu betonen, wurden Büsche ausgelichtet
und 57 Zierkirschen, zehn Felsenbirnen und drei
Zierpflaumen neu gepflanzt. Zwischen den alten
Bäumen östlich des Piusplatzes entstand ein gro-
ßer Abenteuerspielplatz mit Kettenschaukeln,
Kletterparcours, Rodelhügel und einem Wasser-
lauf aus Natursteinquadern. DenMietern der um-
liegenden Häuser stehen zudem Kleingärten zur
Verfügung, die sie individuell bewirtschaften dür-
fen. Bei der Neugestaltung der Innenhöfe hatten
die Anwohner Mitspracherecht. Sie entschieden
über die Art der Bepflanzung, die Standorte von
Sitzbänken und die Ausstattungmit Spielgeräten.
„Wir wollten nichts Fertiges präsentieren“, sagt
Robert Zengler. „Und jetzt hat jeder Hof seinen
eigenen Charakter.“
Sanierung und Nachverdichtung
Auch um die Bestandshäuser am 6-spurigen
Innsbrucker Ring, der sich als teilende Schneise
östlich des Piusplatz-Viertels durch den Stadtteil
Berg amLaimzieht, haben sich die Planer geküm-
mert. Vor die Häuserzeilen direkt amRingwurden
neue Gebäuderiegel gesetzt, die das Viertel vor
Verkehrslärm abschirmen sollen. Das 9-stöckige
Hochhaus gleich daneben ließ die Gewofag ener-
getisch sanieren und die Fassade mit Glasloggien
schallschutztechnisch verbessern. UmWohnraum
für Familien zu schaffen, wurden die alten 1- und
2-Zimmer-Wohnungen zusammengelegt. Eine
neue Quartiersgarage in der Bad-Schachener-
Straße hat zudem die Zahl der PkW, die auf Park-
platzsuche durch die engen Straßen des Viertels
irren, drastisch verringert.
Soziale Anlaufstelle
All das trug dazu bei, die Lebensqualität imViertel
spürbar zu erhöhen. Doch die Gewofagwollte noch
mehr tun. Auch das soziale Klima sollte besser
werden. Deshalb bietet heute ein Nachbarschafts-
treff den Mietern Gelegenheit, neue Kontakte
zu knüpfen, ein Montessori-Kinderhaus und ein
Mütterzentrumkümmern sich umdie Belange von
Kindern und Familien und der Stützpunkt „Wohnen
imViertel“ ist Anlaufstelle für die Alten. Hier steht
ein Pflegeteam rund umdie Uhr bereit, Pflegebe-
dürftigen im gesamten Viertel helfend zur Seite
zu stehen.
Das alles kostet: 100 Mio. € wird die Gewofag bis
zumendgültigen Abschluss des Projektes imJahre
2020 investiert haben. Denn noch steht der dritte
Bauabschnitt aus. Bereits jetzt wird deutlich, dass
das Geld gut angelegt ist: Auf den Wiesen pickni-
cken Familien, auf den Bänken dösen Anwohner,
der Spielplatz ist voll belegt – dieMenschen fühlen
sich wohl im Viertel rund um den Piusplatz.
Quelle: Gewofag
Nachtaufnahme mit Schallschutz zum Innsbrucker Ring
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