DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 05/2015 - page 36

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5|2015
NEUBAU UND SANIERUNG
Technische Assistenzsysteme
Mehr Praxis und dafür weniger Theorie ...
Neben baulichen Maßnahmen zur Wohnraumanpassung spielen vermehrt auch technische Assistenz-
systeme (AAL) eine Rolle, wenn es darum geht, die Selbstständigkeit von älteren Bewohnern im
häuslichen Bereich zu fördern. Seit Jahren wird nach Lösungen geforscht, wie aus dem komplexen
Querschnittsthema ein praxistaugliches Modell für Wohnungsunternehmen werden kann. Vielerorts
sind wissenschaftliche Leuchttürme entstanden, Modelle für die konkrekte Umsetzung jedoch kaum.
Was muss sich ändern, damit aus der Theorie Praxis wird?
Die Situation ist paradox: Auf der einen Seite be-
steht seit Jahren die Kenntnis darüber, dass ange-
sichts der wachsenden Zahl älterer Bürger Lösun-
gen gefundenwerdenmüssen, mit denen Senioren
möglichst lange selbständig in ihrer Wohnung
bleiben können. Auf der anderen Seite sind laut ei-
ner Untersuchung der KfWgerade einmal 700.000
Einheiten des gesamten Wohnungsbestandes in
Deutschland altersgerecht ausgestattet – rund
350.000 davon gehören GdW-Mitgliedsunter-
nehmen. Dabei ist der Handlungsbedarf immens:
Laut Bundesamt für Statistik werden 2030 etwa
22 Mio. Bürger über 65 Jahre alt sein und bis zum
Jahr 2050wird sich die Zahl der über 80-Jährigen
auf cirka 10 Mio. Bürger verdreifachen.
Nicht das Rad neu erfinden
Ergänzend zu baulichen Maßnahmen können
auch alltagsunterstützende Systeme (sog. Am-
bient-Assisted-Living-Technologien, kurz AAL)
die Eigenständigkeit von Älteren fördern. Um
herauszufinden, wie die vielschichtigen Aspek-
te von AAL zusammenhängen, wurden zwischen
2009 und 2013 bundesweit 18 Pilotprojekte vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF) gefördert. 125 Mio. € wurden für die
Technologieforschung bereitgestellt. Sicherlich
gut investiertes Geld, doch nur allzu oft wird das
Rad neu erfunden, statt adaptierbare Modelle für
Wohnungsanbieter voranzubringen.
Das von der Behörde für Gesundheit und Ver-
braucherschutz der Freien und Hansestadt Ham-
burg und dem Europäischen Fonds für Regionale
Entwicklung (EFRE) jüngst geförderte Projekt
„Vernetztes Wohnen im Quartier“ verfolgte da-
gegen andere Ziele: Einerseits nutzte es amMarkt
befindliche Smart-Home-Systeme und AAL-Pro-
dukte, um daraus eine zukunftsorientierte Infra-
struktur zu entwickeln, und versuchte, Standards
zu definieren. Andererseits identifizierte es immer
wiederkehrende Nutzertypen, woraus sich Funk-
tionsmodule ableiten lassen, die die technische
Planung fortan vereinfachen werden.
Technische Standards fehlen bisher
Zur Projektgruppe gehörten derWohnungsanbieter
Pflegen & Wohnen, der Elektroplaner und Syste-
mintegrator Q-Data Service, die IT-Firma Prosys-
tem Software sowie der Fachbereich Informatik
der Universität Hamburg zur wissenschaftlichen
Begleitung. DieAufgabe der Projektgruppe bestand
darin, in einerWohnanlage inHamburg-Uhlenhorst
mit 200 Wohneinheiten und bisher konventionell
ausgestatteten Räumen eine Einheit in eine ver-
netzteWohnung umzurüsten. Drei Merkmale sollte
diese danach aufweisen: soziale Dienstleistungen
von Mensch zu Mensch, Smart-Home-Technolo-
gie, die individuellen Wohnkomfort bietet, sowie
alltagsunterstützende Systeme, die Menschen in
vielen Lebenssituationen helfen.
Angesichts des immer unübersichtlicher werden-
den Marktes von Smart-Home-Systemen gab es
zunächst kein Patentrezept. Umdie Produkte auf
Dagmar Hotze
freie Journalistin
Hamburg
THEMA DES MONATS
Folgende motorische und gedächtnisunterstützende Komponenten wurden in der
Wohnung des Forschungsprojektes „Vernetztes Wohnen im Quartier“ in Hamburg installiert.
Grundvoraussetzung für derartige Funktionalitäten ist jedoch stets eine vernetzende,
elektrotechnische Infrastruktur.
Motorische Hilfen:
• Höhenverstellbarer Schrank
• Höhenverstellbarer Waschtisch
• Unterstützendes Bett
• Halbautomatische Tür
• Vorhangsteuerung
• Fenstersteuerung
• Neigbarer Spiegel
• Duschtisch
TECHNOLOGIE, DIE MIT DEN BEDÜRFNISSEN „MITWÄCHST“
Neurologische Hilfen:
• Terminkalender
• Smarter Herd mit Überkochschutz
• Lichtsteuerung
• Tonsignale zur Erinnerung (Musik- oder
Sprache)
• Schlüsselerinnerung
• Trinkerinnerung
• Medikamentenerinnerung
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