DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 9/2015 - page 25

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Nach dieser Prozedur war die Wäsche glatt und
glänzend. Zwei Jahre lang stand die Maschine
still, denn sämtliche Elektroleitungen im Haus
wurden zwischenzeitlich erneuert. Jetzt erklärt
der Hauswart, Herr Diemchen, die technischen
Finessen des Apparats und setzt per Knopfdruck
den elektrischen Zahnradantrieb wieder in Gang.
Wie alle, die in den letzten beiden Jahren mit der
Sanierung des Wohnblocks zu tun hatten, hat er
Respekt vor dem Ungetüm im Keller. Es durfte
an seinem angestammten Platz bleiben, wäh-
rend sämtliche Mieter und Möbel vorübergehend
umquartiert wurden, damit die Bauarbeiter freie
Bahn hatten.
Bewahrung des baulichen Erbes
Museumsreife Technik vor dem Weg auf den
Schrottplatz zu bewahren, gehört nicht zu den
Pflichtaufgaben eines kommunalen Wohnungs-
unternehmens, doch bei der Berliner Gewobag
nimmt man die Verantwortung für das histori-
sche Erbe ernst. Das Unternehmen verfügt mit
60.000Wohneinheiten über einen besonders breit
gefächerten Bestand. Im Portfolio der Gewobag
finden sich Mietskasernen aus der Kaiserzeit, ein
bewohnter Wasserturm, die ehemalige Reichs-
forschungssiedlung der Weimarer Republik in
Spandau (siehe DW 2/2014, S. 20), Wohnblöcke
aus der Nazizeit, der Zeit des Wiederaufbaus bis
hin zu DDR-Plattenbauten. Auch aktuelle Neubau-
ten gehören dazu, denn der Gewobag-Bestand
wächst.
Etliche Gebäude stehen unter Denkmalschutz.
Die damit verbundenen Auflagen bei Moderni-
sierungsmaßnahmen sieht man bei der Gewobag
nicht nur als Last. Das Unternehmen besitzt in-
zwischen große Erfahrung in der Zusammenarbeit
mit den zuständigen Behörden, dadurch entstehen
auch neue Ideen: So wurde 2014 in der ehemali-
gen Reichsforschungssiedlung in Zusammenarbeit
mit dem örtlichen Denkmalpfleger das Interieur
einer Kleinstwohnung im Stil der 1930er Jahre
rekonstruiert.
„Auch der DDR-Wohnpalast amOstseeplatz ist ein
Architekturdenkmal, das uns viel über die Ideolo-
gie der Staatsführung zum Zeitpunkt der Errich-
tung erzählt“, sagt Unternehmensvorstand Sneza-
naMichaelis. „Man kann so einHaus instandsetzen,
indemman es einfach neu anstreicht und damit die
Details im wahrsten Sinne überpinselt. Man kann
sich aber auch intensiv mit seiner Geschichte be-
schäftigen und seinen besonderen Charakter wie-
der herausarbeiten. Wir wollen für unsere Mieter
ein angenehmes Zuhausemit zeitgemäßenWohn-
standards schaffen. Aber Modernisierung heißt für
uns eben auch: Wir bewahren architektonisches
und städtebauliches Erbe für die Stadt.“
Vom alten Arbeiterpalast ...
Auf den ersten Blick erinnert der Wohnblock am
Ostseeplatz an die berühmten Arbeiterpaläste,
die nach Vorgaben der DDR-Führung ab 1952
an der damaligen Stalinallee entstanden. 116
großzügige Wohnungen waren in dem Gebäude
mit seiner palastartig gegliederten Hauptfassade
im Sommer 1954 bezugsfertig. Wenig später trat
der DDR-Stararchitekt Hermann Henselmann am
Ostseeplatz vor Bauarbeitern und der Presse auf,
um einen Rechenschaftsbericht über seine Arbeit
als Chefarchitekt von Ost-Berlin abzugeben. Als
„Henselmannblock“ wurde das Gebäude bis in
die jüngste Zeit bezeichnet, doch auf Gerüchte
wollte sich die Gewobag nicht verlassen: Sie gab
ein umfangreiches Gutachten über die Geschichte
des Wohnblocks in Auftrag. Recherchen in Berliner
Archiven ergaben, dass nicht Henselmann, son-
dern ein Planungskollektiv des Berliner Magistrats
die Entwürfe für ein ganzes Wohngebiet an der
Ostseestraße lieferte. Als „Projektanten“ nannte
eine Bauzeitschrift den Architekten HarryWenzel,
über den jedochweiter nichts herauszufindenwar.
Der „Wohnkomplex Ostseestraße“ entsprach den
1950 von der DDR-Regierung vorgegebenen „16
Grundsätzen des Städtebaus“ und gehörte zum
„Nationalen Aufbauwerk“ der jungen DDR. Mit
großzügigem, qualitativ hochwertigem Woh-
nungsbau wollte der neu gegründete „Arbei-
ter- und Bauernstaat“ die Überlegenheit seines
Gesellschaftssystems demonstrieren. Daher sind
die Grundrisse im Wohnpalast auch heute noch
für junge Familien attraktiv. Ursprünglich heiz-
te man mit Kachelöfen, die in den DDR-Jahren
weitgehend durch Gasthermen ersetzt wurden.
Nun sind alleWohnungen ans Fernwärmenetz an-
geschlossen, sämtliche Versorgungsstränge und
Bäder wurden erneuert, Gegensprechanlage
Der Wohnpalast nach der aufwändigen Sanierung: nur beim genauen Hinsehen
bemerkt man die unterschiedlichen zeitgenössischen Beige- und Brauntöne sowie
Materialien
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