CONTROLLER Magazin 2/2019 - page 102

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Bundesverband der Ratinganalysten e.V.
Die „reine Lehre“ der betrieblichen Finanzwirt-
schaft legt die Schwerpunkte auf die klassi-
schen Formen der Gesellschafter- und Banken-
finanzierung. Auch wenn die Eigenkapitalbe-
schaffung bei Gesellschaftern und die Darle-
hensaufnahme bei Hausbanken weiterhin von
hoher Bedeutung sind, haben sich bereits seit
Langem verschiedenste Zwischenformen der
Finanzierung etabliert. Waren es über viele
Jahre eher weniger beachtete Wege der Auf-
nahme stiller Gesellschafter oder von Gesell-
schafterdarlehen, sind seit den 1980er Jahren
auch verbriefte Zwischenformen der Unterneh-
mensfinanzierung verstärkt genutzt worden.
Stimulatoren dieser Entwicklung waren zum
einen aufsichtsrechtliche Regelungen in der
Finanzbranche, zum anderen die sich bietenden
Möglichkeiten zur flexiblen Ausgestaltung der
Finanzierungselemente.
Die der staatlichen Beaufsichtigung unterlie-
genden Institute der Finanzbranche können
Kapital, das mit einer Nachrangabrede aus­
gestattet ist, als Teil des aufsichtsrechtlichen
Eigenkapitals anrechnen lassen; je nach der
konkreten Ausgestaltung zählt die Position ent-
weder zum Kernkapital (Tier-1-Capital) oder
zum Ergänzungskapital (Tier-2-Capital). Die
eigenkapitalangenäherten Formen (Equity
Mezzanine) werden dabei dem Kernkapital
zugerechnet, die „nur“ nachrangigen Formen
gelten als Ergänzungskapital, denn hierbei
überwiegen eindeutig die Fremdkapitalele-
mente (Debt Mezzanine).
Dynamik im Markt der
Unternehmensfinanzierung
Als Hauptmotive bei der Nutzung von Zwi-
schenformen der Unternehmensfinanzierung –
und das gilt für alle Sektoren der Wirtschaft,
nicht nur für die Finanzbranche – lassen sich
zwei Faktoren ausmachen:
Die Flexibilität, die das Unternehmen bei der
Ausgestaltung des Vertrages über die Kapi-
talaufnahme nutzen kann; das gilt sowohl in
Bezug auf die Zinshöhe als auch in Bezug auf
die Laufzeit und die Tilgungsmodalitäten.
Die Zurechnung der Mezzaninen Finanzie-
rungselemente zum betriebswirtschaftlichen
Eigenkapital des Unternehmens. Das Mezza-
nine Kapital gilt dabei in Abhängigkeit von
der konkreten Ausgestaltung entweder als
praktisch vollwertiges Eigenkapital oder als
Eigenkapitalsurrogat. Somit stärkt die Mez-
zanine Finanzierung die Eigenkapitalbasis
und verbessert die Konditionen bei nachfol-
genden Kreditfinanzierungen.
Im Folgenden wird auf zwei Kapitalmaßnahmen
des Jahres 2018 Bezug genommen, bei denen
mittelständische Unternehmen, die nicht als
Aktiengesellschaft oder Kommanditgesell-
schaft auf Aktien (KGaA) firmieren und somit
nicht über börsennotierte Aktien verfügen, Un-
ternehmensanleihen mit einigen Besonderhei-
ten emittiert haben. Diese Auswahl geschieht
bewusst, da die Kapitalmarktfinanzierungen
derartiger Unternehmen über den Kreis der
Kapitalmarktakteure hinaus nur wenig Auf-
merksamkeit erzeugen.
Verbriefte Formen der Mezzaninen
Unternehmensfinanzierung
Die Existenz von Mezzanine Finanzierung wird
dann wahrgenommen, wenn es zu öffentlichen
Angeboten im Vorfeld der Kapitalmaßnahme
kommt. Ähnlich wie bei einem Eisberg ist es
auch bei der Mezzanine Finanzierung. Der
Großteil der Kapitalmaßnahmen befindet sich
unterhalb der Oberfläche, d. h. die Finanzierung
wird von einer breiteren Öffentlichkeit nicht
wahrgenommen. Dies betrifft sowohl die typi-
sche als auch die atypische Form der stillen
Beteiligungen, aufgenommene Darlehen mit
Nachrangvereinbarung sowie die – allerdings
nicht mehr so populären – Genussrechte.
Naturgemäß anders ist das im Bereich der ver-
brieften Finanzierungsinstrumente. Die Ver-
pflichtung zur Kapitalmarktpublizität verlangt
die Erstellung eines Wertpapierprospekts sowie
die laufende Berichterstattung über kursrele-
vante Tatsachen bzw. Ereignisse. Dennoch er-
schließen sich die Kapitalmarktaktivitäten von
Unternehmen außerhalb der „Blue Chips“ nur
einem engeren Kreis von interessierten Börsen-
beobachtern und Finanzanalysten.
Dabei ist der Trend hin zu neuen Wegen der
Kapitalbeschaffung – ausgehend von der zu-
gegebenermaßen sehr niedrigen Basis – ein-
deutig. Schon lange wird über den Rückzug
der Geschäftsbanken aus der Unternehmens-
finanzierung berichtet. Auch wenn sich diese
Veränderungen viel langsamer vollziehen, als
sich das bei so manchem Beitrag herauslesen
lässt, ist eines doch klar: die Unternehmen
stellen sich hinsichtlich ihrer Finanzierungsak-
tivitäten deutlich breiter auf, als wir das noch
vor 20 Jahren gesehen haben. Neben einer
Abnahme der dominanten Bankenfinanzie-
rung (Hausbankenprinzip) sehen wir eine viel
breitere Klaviatur von Finanzierungsbaustei-
nen, als das traditionell üblich war. Die alter-
nativen Finanzierungsquellen werden von Un-
ternehmen zunehmend erschlossen. Dabei
begleiten die Hausbanken die Unternehmen
mitunter eng bei der Beschreitung der neuen
Wege. Gerade der Gang an den Kapitalmarkt
bedarf der Expertise von Akteuren, die eine
Börseneinführung vorbereiten, durchführen
und den Erfolg absichern.
Mezzanine Formen der Unternehmensfinanzierung
Attraktive Finanzierungsbausteine – wenn das Umfeld stimmt
Thomas Schempf, Professor für Betriebswirtschaft, insb. Finanzwirtschaft,
SRH Fernhochschule – The Mobile University
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