wirtschaft und weiterbildung 4/2017 - page 36

personal- und organisationsentwicklung
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wirtschaft + weiterbildung
04_2017
ähnlich ist. Meist gilt es, große Verände-
rungen zu meistern, die zunächst orga-
nisiert und strukturiert werden müssen.
Das kostet wahnsinnig viel Zeit. Im zwei-
ten Betriebssystem sind die Initiativen
kleinteiliger, denn Veränderungen müs-
sen viel schneller umgesetzt werden. Bei
den Projekten, die im zweiten Betriebs-
system laufen, kann man es sich gar nicht
leisten, zuerst eine Projektorganisation
aufzubauen, weil das zu lange dauert.
Lassen sich damit überhaupt groß
angelegte Change-Prozesse managen?
Fuhrmann:
Nein, große Projekte wie kom-
plette Reorganisationen lassen sich damit
nicht bewegen. Wenn bei einer Initiative
im zweiten Betriebssystem klar wird,
dass daraus ein größeres Change-Projekt
wird, muss man es wieder in die klassi-
sche Projektorganisation überführen.
Wie sieht denn konkret die Umsetzung
eines zweiten Betriebssystems aus?
Fuhrmann:
Zunächst ist es extrem wich-
tig, die Führungskräfte als Promotoren
zu gewinnen und dann ein Kernteam zu
finden. Die Mitglieder dieses Teams müs-
sen nicht Vollzeit daran arbeiten, aber das
System mit einem Arbeitseinsatz von ein
oder zwei Tagen die Woche am Laufen
halten. Wichtig ist, dass sie nicht zu sehr
mit Projektmanagement-Methoden „ver-
dorben“ sind. Denn dann haben sie oft
den Drang, alles kontrollieren, absichern
und überregulieren zu wollen.
Soll man also die Mitarbeiter einfach mal
laufen lassen?
Fuhrmann:
So einfach ist es nicht: Es ist
schon wichtig, klare Rahmenrollen und
-prozesse festzulegen. Das dient dazu,
Freiräume zu schaffen und die richtigen
Mitarbeiter zusammenzubringen – und
nicht dazu, alles zu reglementieren.
Dafür braucht es Multiplikatoren, die be-
reit sind, sich auf die Facilitatorenrolle zu
beschränken, und auch Experten, die auf
dem Lösungsweg helfen können. Inner-
halb dieses klaren Rahmens können die
Teams dann tatsächlich einfach selbstor-
ganisiert loslaufen und ihr eigenes Ziel
definieren. Diesem Ziel sind sie dann ver-
pflichtet und niemandem Rechenschaft
schuldig.
Das klingt ganz schön anstrengend für
Mitarbeiter, die das Arbeiten in einer
Hierarchie gewohnt sind ...
Fuhrmann:
Genau deshalb ist das Exper-
tennetzwerk so wichtig. Es ist das Rück-
grat des zweiten Betriebssystems. Denn
bei den meisten Initiativen zeigt sich
sehr schnell, dass die Experten wertvolle
Tipps und Lösungshinweise geben kön-
nen, um ihr Ziel zu erreichen. Bei ihnen
spielt Fachkompetenz eine große Rolle –
aber auch, dass sie nicht als Besserwisser
oder als Bremser auftreten. Wenn alles
richtig funktioniert, laufen die Teams los
wie im Turbogang, bringen eigene Ideen
und befeuern die Netzwerke.
Und dann ist es nur noch eine Frage der
Zeit, bis das zweite Betriebssystem in der
ganzen Organisation bekannt ist?
Fuhrmann:
Nicht ganz. Die Existenz die-
ser agilen Netzwerke muss auch gut und
glaubhaft in die Organisation kommuni-
ziert werden. Es muss einfach sein, mit
dem Kernteam Kontakt aufzunehmen,
die Multiplikatoren müssen in die Orga-
Warum wollen Kunden, die zu Ihnen
kommen, ein duales Betriebssystem?
Michael Fuhrmann:
Einerseits kommen
HR-Manager zu uns, die sagen, ihr Un-
ternehmen braucht agiles Leadership.
Außerdem treten auch CEOs und Top-
manager an uns heran, meist wegen be-
vorstehender Veränderungsprozesse. Sie
wollen, dass die Mitarbeiter bei Change-
Prozessen besser mitziehen und diese
auch sexy finden. Denn an Veränderun-
gen führt heute meist kein Weg vorbei –
wegen Veränderungstreibern wie der Di-
gitalisierung. Die Erkenntnis, sich verän-
dern zu müssen, ist in den Unternehmen,
die zu uns kommen, entweder rechtzeitig
da – oder aber der Druck aus dem Markt
ist schon so groß, dass sie keine andere
Wahl haben.
Aber reicht dafür nicht das her-
kömmliche Change-Management aus?
Fuhrmann:
Das klassische Change-Ma-
nagement ist dank John Kotter und sei-
nem Acht-Phasen-Modell schon weit ver-
breitet. Aber in der sich verändernden Ar-
beitswelt stößt es an seine Grenzen, weil
es an Hierarchien orientiert ist und heute
alles viel schneller gehen muss. Wenn
es darum geht, schnell und innovativ zu
sein, passt Kotters Ansatz vom dualen Be-
triebssystem viel besser.
Wie unterscheidet sich die Change-Arbeit
im dualen Betriebssystem vom klassi-
schen Change- und Projektmanagement?
Fuhrmann:
Im klassischen Change- und
Projektmanagement gibt es ein Steue-
rungsteam, das das Change-Projekt über-
wacht, und eine Projektorganisation, die
einer hierarchischen Organisation sehr
„Veränderung von unten –
kleinteilig und ungerichtet“
INTERVIEW.
Mit einem zweiten Betriebssystem wollen Unternehmen Innovationen mit
agilen Methoden vorantreiben. Der Leadership-Berater Michael Fuhrmann hat Unternehmen
bei der Umsetzung dualer Betriebssysteme begleitet und erklärt, wann diese sinnvoll sind –
und wann klassisches Change- und Projektmanagement die bessere Wahl ist.
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