Der Verwalter-Brief 6/2015 - page 10

10
Deckert kompakt
von Ehepartnern von Eigentümern gestattet,
ordnungsgemäßer Verwaltung und kann die
Anwesenheit von Nichteigentümern nicht
rechtfertigen.
Hinsichtlich der Kausalität wird widerlegbar
vermutet, dass der Formfehler zu dem Be-
schlussergebnis geführt hat. Der Formmangel
ist allein dann unerheblich, wenn feststeht,
dass die Beschlüsse auch ohne den Fehler
zustande gekommen wären, wobei an die-
sen Nachweis strenge Anforderungen zu stel-
len sind. Dabei kommt es nicht allein auf die
Auswirkungen des Abstimmungsverhaltens
auf das Abstimmungsergebnis an, sondern
auch auf die Möglichkeit, in der vorherigen
Aussprache das Abstimmungsverhalten durch
Argumente zu beeinflussen.
Die alleinige Beweislast, dass der Formfehler
keinen Einfluss auf das Abstimmungsergebnis
hatte, liegt bei den beklagten Eigentümern.
Diese können sich hier nicht auf den Hinweis
zurückziehen, die beiden anwesenden Ehegat-
ten seien nur stille Zuschauer gewesen. Es ist
nicht auszuschließen, dass deren Anwesenheit
Einfluss auf die Beschlussfassungen hatte.
Das bedeutet für Sie:
1. Bestätigung bisher herrschender
Meinung zu formfehlerhaften
Beschlüssen
Im Ergebnis hat das Berufungsurteil die Vorent-
scheidung des AG bestätigt, allerdings weitge-
hend mit anderer Begründung unter Hinweis
auf derzeit vorherrschende Rechtsmeinungen.
Erfreulich ist insbesondere die Bestätigung zu
anzustellenden Kausalitätsüberlegungen bei
reinen Formfehlern und gleichzeitiger Absage
an die insbesondere im Aktienrecht vom BGH
favorisierte sogenannte Relevanztheorie, nach
der jeder Formverstoß relevant sein soll.
Das LG bestätigt auch, dass eine Gemeinschaft
die Entscheidungskompetenz hat, Geschäfts-
ordnungsbeschlüsse zu fassen. Werden aller-
dings dadurch Beschlussformfehler toleriert
oder sanktioniert, sind im Zuge einer Anfech-
tung nachfolgender Sachbeschlüsse auch Ge-
schäftsordnungsbeschlüsse an den Grundsät-
zen ordnungsgemäßer Verwaltung zumindest
mittelbar – da nicht separat anfechtbar – zu
messen.
So sind etwa auch ein im Interesse der Ge-
meinschaft zugezogener Anwalt und/oder
Bausachverständiger zur Beantwortung an-
stehender Fragen entgegen der Meinung des
AG als berechtigte Versammlungsteilnehmer
anzuerkennen, was auch ein entsprechender
Geschäftsordnungs-Gestattungsbeschluss be-
stätigen kann. Zuletzt sind auch stillschwei-
gende Rügeverzichte gegen bekannte bzw.
bekanntgemachte förmliche Beschlussmängel
möglich.
2. Kausalitätsfragen und Beweislast
Sicher ist bei allen möglichen Beschluss-
Formfehlern im Grundsatz von einer
– wenn auch widerlegbaren – Vermutung aus-
zugehen, dass sich der Formmangel auf die
Beschlussergebnisse kausal ausgewirkt hat.
Liest man hierzu die Grundsatzentscheidung
des BGH (vom 10.12.2010, V ZR 60/10, un-
ter Hinweis auch auf die h. M.), können Be-
schlussungültigkeiten in der Regel allerdings
dann verneint werden, wenn für das Gericht
feststeht, dass ein formeller Beschlussmangel
keinen Einfluss auf das Abstimmungs- und Be-
schlussergebnis hatte. Das gilt allerdings nicht
bei schwerwiegenden Eingriffen in elemen-
tare Kernbereichs- und Mitgliedschaftsrechte,
wenn damit Teilnahme- und Mitwirkungsrech-
te eines Eigentümers in gravierender Weise
ausgehöhlt werden.
Im vorliegenden Fall überzeugt mich die Be-
gründung nicht, dass sich ein Eigentümer, der
die Verletzung des Nichtöffentlichkeitsgrund-
satzes rügt, in seiner Anfechtung nur auf die-
sen Formfehler berufen muss, um alle nach-
folgenden Sachbeschlüsse zu Fall zu bringen;
dies obendrein gegen den jeweils deutlichen
Mehrheitswillen der restlichen Eigentümer.
Deshalb eine weitere, den Formfehler heilen-
de Versammlung mit gleichen Tagesordnungs-
punkten durchzuführen, erscheint mir als zeit-
raubende und unwirtschaftliche Rechtsfolge,
die auch aus Kostengründen für alle Beteilig-
ten nur Nachteile bringt und somit auf deren
Unverständnis stößt.
Für das Gericht hätte auch „feststehen“ kön-
nen, dass die Beschlüsse nie und nimmer auf
dem gerügten Formfehler beruhen können,
wenn schon die klagende Eigentümerin kei-
ne eigenen Beeinträchtigungen bzw. Befan-
genheiten dargelegt hat. Soll etwa schon der
„strenge Blick“ einer Fremdperson in der Ver-
sammlung den Erfolg einer Anfechtungsklage
herbeiführen? Auch möglicherweise allein
querulatorischen Anfechtungen ist durch diese
Entscheidung Tür und Tor geöffnet. Man muss
nicht gleich entgegen der h. M. die Beweislast
zulasten eines Anfechtungsklägers umkehren,
kann aber in Fällen wie dem vorliegenden
durchaus der Klägerseite eine Darlegungslast
(im Sinne einer sekundären Beweislast) auf-
erlegen, durch wen, warum und wie sie sich
denn in ihren Rechten beeinträchtigt sah bzw.
objektiv fühlen durfte.
3. Empfehlungen für Verwalter
Lassen Sie bereits am Einlass die Teilnahmebe-
rechtigungen streng kontrollieren und in dort
ausliegender Anwesenheitsliste registrieren.
Weisen Sie nach Eröffnung der Versammlung
und noch vor Eintritt in die Tagesordnung die
versammelte Gemeinschaft darauf hin, dass
sich aus ihrer Sicht bestimmte Fremdperso-
nen/Gäste im Saal befinden und der Nicht-
öffentlichkeitsgrundsatz verletzt sein könnte.
Bezogen auf einzelne Fremdpersonen sollten
Sie darauf hinweisen, dass abgesehen von
berechtigten Eigentümervertretern nach ge-
festigter BGH-Rechtsprechung im Ausnahme-
fall auch Begleitpersonen und Erklärungsbo-
ten von Miteigentümern zugelassen werden
müssen, etwa wenn es sich um hochbetagte,
kranke (z. B. gehbehinderte, blinde, gehörge-
schädigte) oder der deutschen Sprache nicht
mächtige Eigentümer handeln sollte und ins-
besondere schwerwiegende Entscheidungen
in der Versammlung an diesem Tag zu treffen
sind. Zusätzlich können Sie auch fragen, ob
Anwesende die Teilnahme einer Fremdperson
rügen wollen oder ob die Versammlungslei-
tung von stillschweigendem Rügeverzicht aus-
gehen dürfe. Entsprechende Hinweise, Fragen
und Erklärungen sollten Sie zu Beweiszwecken
im Versammlungsprotokoll festhalten.
In strittigen Fällen der Teilnahme von Fremd-
personen ist es nach wie vor auch möglich,
einen Geschäftsordnungsbeschluss zu fassen,
allerdings ebenfalls verbunden mit möglichen
Anfechtungsrisiken je nach Abstimmungser-
gebnis für die hiervon betroffenen Eigentü-
merseiten. Dabei sollten Sie nunmehr auch
erwähnen, dass ein eventueller Geschäftsord-
nungs-Gestattungsbeschluss selbst bei zu er-
wartender großer Mehrheit zu Anfechtungen
nachfolgender Sachbeschlüsse führen könnte.
Im Extremfall der Anwesenheit eines fremden
Dritten haben Sie auch unabhängig von einem
Geschäftsordnungsbeschluss als Versamm-
lungsleiter die Kompetenz, den Fremden des
Saales zu verweisen und bis dahin den Be-
ginn und Ablauf einer Versammlung kurz zu
unterbrechen. Ohne entsprechende Weisung
der Eigentümermehrheit kann allerdings auch
eine solche Alleinentscheidung Ihrerseits zu
Anfechtungsrisiken führen, sollten Sie damit
einem Eigentümer rechtsmissbräuchlich Teil-
nahme- bzw. Stimmrechte zumindest mittel-
bar verwehren.
Noch sind solche Formverstöße in ihren Aus-
wirkungen nicht völlig abschließend geklärt.
Ordnungsgemäßes Verwalterhandeln setzt
also entsprechende Rechts- und Rechtspre-
chungskenntnisse auch zu dieser Einzelfallpro-
blematik voraus.
Im vorliegenden Fall scheint es mir auch nicht
ausgeschlossen, dass das Berufungsgericht
die überwiegende Mehrheit der Eigentümer
dieser Gemeinschaft „strafen“ wollte, da der
Gemeinschaft in früheren Verfahren die Pro-
blematik durch die Gerichte bereits deutlich
vor Augen geführt worden war, sie sich of-
fensichtlich jedoch bisher nicht belehren ließ.
Enttäuschend für mich jedenfalls, dass in die-
1,2,3,4,5,6,7,8,9 11,12
Powered by FlippingBook