personalmagazin 06/2016 - page 63

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06/16 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
rung in die Dunkelverarbeitung auf eine
Schrumpfung der Beschäftigung um
mindestens ein Drittel der gegenwärtig
im öffentlichen Dienst Beschäftigten.
Die Gesamtbeschäftigung im öffent-
lichen Dienst wird mit der Verwaltung
4.0 also abnehmen. Die Autoren einer
Studie der Bank Ing-Diba haben errech-
net, dass mit der Arbeitswelt 4.0 in den
kommenden Jahrzehnten bis zu 18 Mil-
lionen Arbeitnehmer ersetzt werden.
Demnach sind besonders Sekretariats-
kräfte, Sachbearbeiter und Verwaltungs-
mitarbeiter von der Substitution durch
artifizielle Arbeit bedroht. Anstelle von
Führungskräften übernehmen Systeme
die Koordination der Mitarbeiter in der
operativen Verwaltung. Die Bedeutung
der „strukturalen Führung“ gewinnt,
die „personale Führung“ verliert an Be-
deutung. Der zu erwartende Verlust an
Arbeitsplätzen entsteht durch:
• die Übertragung von Verwaltungsauf-
gaben auf den Bürger, indem die Bürger
ihre Anliegen elektronisch in den Verwal-
tungsprozess einbringen
• die Verlagerung von Verwaltungsauf-
gaben in die Dunkelverarbeitung voll-
automatischer Bearbeitungsstraßen wie
vollautomatische Bearbeitung und Er-
stellung von Bescheiden zum Kindergeld
• den Wegfall von Aufgaben im Verwal-
tungsprozess wie der Abbau von Doppel­
eingaben, Druckvorgängen, Mailabstim-
mungen, Verringerung von Wege- und
Liegezeiten sowie Doppelarbeiten
• den Wegfall von Koordinations- und
Führungsaufgaben wie den Wegfall von
Führungsaufgaben, Koordinationsauf-
gaben, Botendiensten, Schreibarbeiten,
standardisierter Sachbearbeitung und
Beratung durch systemgebundene struk-
turale Führung
• das Outsourcing von Verwaltungs- und
Gestaltungsaufgaben aus der öffentli-
chen Verwaltung wie die Fremdvergabe
nichthoheitlicher Aufgaben – lediglich
die Supervision verbleibt in der Verant-
wortung der öffentlichen Verwaltung.
Wo Schatten ist, ist auch Licht: In der
Verwaltung 4.0 entstehen auch neue
eine Maschinensteuer zur Einkommens-
sicherung einzuführen.
Auftrag an Politik und Gesellschaft
Die öffentliche Verwaltung ist herausge-
fordert, die Beschäftigungswirkungen
der Verwaltung 4.0 zu analysieren. Dazu
ist es notwendig, Annahmen zu tref-
fen, Auswirkungen zu berechnen und
schließlich Aktivitäten abzuleiten. Allen
Aktivitäten vorangestellt ist die politische
Willensbildung, eine Digitalisierung des
öffentlichen Dienstes „aus einem Guss“
statt eine kostspielige Patchwork-Lösung
anzustreben. Als zweiter Schritt sollten
Think Tanks auf allen Ebenen des öf-
fentlichen Dienstes gebildet werden, die
vor allem die Entwicklung der Aufgaben
und Anforderungen, der Beschäftigung,
der Fertigungstiefe und der Qualifikation
untersuchen. Die erhobenen Variablen-
werte sollten dann in Szenarien einer
möglichen Entwicklung der Verwaltung
4.0 eingearbeitet und in ein „Wunschsze-
nario“, ein „Extremszenario Worst Case“
und ein „Extremszenario Best Case“
differenziert werden. Auf dem Weg in
die Verwaltung 4.0 gilt, dass es gut ist,
mit systematischer Planung auf Sicht zu
fahren. Es sollte eine plausible Imple-
mentierungsstrategie mit klaren Zustän-
digkeiten, Tempi, Schnittstellen und Ver-
antwortlichkeiten erarbeitet werden.
Schließlich sollten die Sozialpartner
unverzüglich in einer Taskforce die di-
gitale Zukunft verhandeln und zu kla-
ren „Dos“ and „Don‘ts“ gelangen. Eine
offene Kommunikation mit den Beschäf-
tigten ist für eine breite Akzeptanz des
digitalen Umbaus der öffentlichen Ver-
waltung unverzichtbar. Und schließlich
ist sicherzustellen, dass der arbeitende
Mensch in der Verwaltung 4.0 „Koch“
und die cyber-physischen System „Kell-
ner“ bleiben.
PROF. DR. MANFRED BECKER
ist wissenschaftlicher Leiter
der Eo Ipso Personal- und
Organisationsberatung.
Alle personenbezoge-
nen Aufgaben werden
zunehmen, weil Kom-
plexität, Dynamik und
Unsicherheit der
Lebensbewältigung
steigen werden.
und attraktive Jobs. So werden alle per-
sonenbezogenen Aufgaben nicht nur
erhalten bleiben, sondern zunehmen.
Erziehungsaufgaben, Beratungsaufga-
ben, Personalentwicklung, Bürgerbe-
ratung und Begleitung von Bürgern in
unterschiedlichen Lebenslagen, werden
bedeutsamer und umfangreicher wer-
den, weil Komplexität, Dynamik und
Unsicherheit der Lebensbewältigung
steigen werden.
Mehr befristete Beschäftigung
Ändern werden sich die Beschäftigungs-
verhältnisse: Befristete Beschäftigung,
Teilzeit, Auszeiten, Bildungszeiten wer-
den zunehmen. Es ist der öffentlichen
Verwaltung zu raten, die Praxis der
befristeten Beschäftigung nicht nur bei-
zubehalten, sondern auszubauen, weil
daraus Flexibilitätsreserven für den di-
gitalen Umbau erwachsen. Das Modell
„nine to five“ wird vielfältigen flexiblen
Arbeitszeitmodellen weichen; die Ar-
beitszeit wird insgesamt sinken, die Le-
bensarbeitszeit wird stark steigen müs-
sen. Wenn die Arbeitszeit künftig auf
30, vielleicht 20 Wochenstunden sinken
wird, weil Dunkelverarbeitung und Bür-
gerarbeit das ermöglichen, dann wird
es Aufgabe der Gesellschaft, der Unter-
nehmen, der Personalentwicklung und
eines jeden einzelnen sein, die quantita-
tive Reduzierung der Arbeitszeit in qua-
litative Lebenszeit umzugestalten.
Eine große Erwartung an die Dekom-
pression der Arbeit wird die Verringerung
von Stress, Burnout und Depressionen
sein. Die Vereinbarkeit von Privatleben
und Berufstätigkeit wird erleichtert. Vo-
raussetzung für die Arbeitszeitreduzie-
rung ist die Sicherung des Einkommens.
Es wird sicherlich erforderlich werden,
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