Als der deutsche Softwarekonzern SAP vor fünf Jahren an-
kündigte, mittelfristig Hunderte Autisten als Programmierer
und Softwaretester einzustellen, löste das Unternehmen ein
überwältigendes Medienecho aus. Viele Initiativen, die sich
in mühevoller Kleinarbeit für die berufliche Integration von
Menschen mit Autismus einsetzen, hatten sehnsüchtig auf ei-
nen solchen Coup gewartet. Entschließt sich ein Unternehmen
mit Weltruf, den Anteil von Autisten in seiner Belegschaft bis
zum Jahr 2020 auf ein Prozent anzuheben, ist das zweifellos
ein Aufbruchsignal. Sollte sich das Wachstum des in Walldorf
beheimateten IT-Riesen ungebrochen fortsetzen, könnten in
zwei Jahren etwa 1.000 SAP-Mitarbeiter dem sogenannten Au-
tismus-Spektrum zugeordnet werden.
Seitdem entwickelte sich eine kräftige Ausdifferenzierung von
Jobprofilen für Autisten: Aus zwei wurden inzwischen 23. Zum
Softwaretester und Programmierer gesellen sich Spezialisten für
Künstliche Intelligenz, Big Data und für das Internet of Things
(IoT). Gefragt ist auch das Profil des Data Scientists.
Das florierende Tätigkeitsfeld stiftet Vertrauen: Immer mehr
kommen aus der Deckung. „Weil sich herumspricht, dass Men-
schen mit Autismus bei SAP beruflich Fuß fassen können, wen-
den sich zunehmend Mitarbeiter an uns, um sich zu outen“, sagt
Marco Fien, der im Personalbereich zusammen mit Stefanie
Lawitzke das Programm „Autism at Work“ leitet. Wer sich bisher
nicht traute, zu seiner Diagnose zu stehen, fragt nunmehr die
HR-Abteilung zum Beispiel um Rat, wie Probleme in speziellen
Arbeitssituationen gelöst werden könnten.
Trittbrettfahrer unterwegs: Manche Bewerber
nutzen die Diagnose Autimus als Jobgarant
Dass zusehends offen und vorteilsfrei über Autisten und ihr
nahezu unerschlossenes Potenzial gesprochen wird, ruft frei-
lich auch unliebsame Akteure auf den Plan. Schon wurden
einzelne Trittbrettfahrer bei dem Versuch ertappt, sich in der
Hoffnung auf bevorzugte Einstellung als Autisten auszugeben.
Hier zeige HR klare Kante, so Fien: „Um faire Auswahlprozesse
zu gewährleisten, ist die eindeutige Diagnose durch den Integ-
rationsfachdienst Heidelberg-Mosbach zwingende Einstellungs-
voraussetzung.“
Strukturell hat sich bei SAP einiges getan. Wurde das Auf-
gabenspektrum vom Recruiting über die Betreuung bis zur
organisatorischen und persönlichen Unterstützung von Teams
und Führungskräften zu Beginn der Initiative vom dänischen
Dienstleister Specialisterne erbracht, liegt inzwischen die Fe-
derführung bei HR. „Wir verstehen uns als Bindeglied zwischen
Kandidaten und einstellenden Teams“, bekräftigt Lawitzke. Nach
wie vor gebe es in den Fachbereichen viel Aufklärungsbedarf,
wie man am besten mit Autisten zusammenarbeitet und wel-
che Bedingungen das erleichtern können. Entwickelt wurde
dafür ein spezielles Onboarding-Programm, das auch ein autis-
musspezifisches Teamtraining enthält – eine Entwicklung, die
unbestreitbar als Benchmark für viele Inklusionsprojekte und
damit auch für das übergeordnete Thema Diversity gelten wird.
Die meisten Unternehmen reden nicht offen
über autistische Mitarbeiter
Doch so sehr das Beispiel von SAP zur Nachahmung veranlasst:
Beim Rest der Wirtschaft herrscht statt Aufbruchstimmung
offenkundig eher Skepsis. Hier klafft eine große Lücke im Di-
versity-Versprechen der Unternehmen. Während SAP sich ent-
schieden dazu bekennt, die Talente der vorwiegend als Asper-
ger-Autisten diagnostizierten Menschen zu fördern, verordnen
sich die meisten Unternehmen einen Maulkorb. Dass Autisten
sehr logisch denken, über schnelle Aufnahmefähigkeit verfügen
und sich viel länger als ihre „neurotypischen“ Kollegen auf eine
Aufgabe konzentrieren können, erfährt zwar auf der einen Seite
hohe Wertschätzung. Doch auf der anderen Seite wird aus Sorge
vor beunruhigenden Verhaltensweisen und unkontrollierbarem
Geschehen jegliche Initiative im Keim erstickt.
Das bestätigen die Recherchen für diesen Artikel. Auf Nachfra-
ge bei Unternehmen, die in Medienberichten wiederholt als Ar-
beitgeber von Autisten genannt wurden oder auf entsprechende
Projekte verweisen können, kommen keine Antworten. Vodafone
etwa, wo einige wenige Autisten beschäftigt werden, weigert
sich beharrlich, zu Erfahrungen im betrieblichen Miteinander
Auskunft zu erteilen. Auch bei T-Systems arbeiten Autisten in
Teams. Nach mehrfacher Anfrage wird jedoch lapidar mitgeteilt,
man setze den „Fokus auf andere Themen“. Andere Firmen wie
Rohde & Schwarz oder Deloitte verweisen auf singuläre und in-
zwischen abgeschlossene Projekte, die es sich nicht fortzusetzen
lohne. Auch die Allianz windet sich merklich, bezieht schließlich
doch Position. Einzelne Projekte mit externen Dienstleistern
seien positiv verlaufen, sagt ein Sprecher. Als „Verfechter von
Inklusion“ sei man grundsätzlich bereit, Autisten einzustellen.
Diversity-Programme gibt es in deutschen Unternehmen
inzwischen wie Sand am Meer. Doch speziell die
Förderung von autistischen Mitarbeitern ist dabei selten
ein Thema. Statt von den Stärken der Autisten zu
profitieren, ducken sich die Verantwortlichen weg.
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Inklusion