Personalmagazin 7-2018 - page 106

schnell zu einer Umrechnungsformel,
die das Werktags-Prinzip des BUrlG im
Ergebnis aufgab und in eine individuelle
anteilige Wochenarbeitstagbetrachtung
umfunktionierte.
Aber auch diese Formel stieß bei der
zunehmenden Zahl von flexiblen Teilzeit-
beschäftigungen an ihre Grenzen. Denn
im Jahre 1963 hatte der Gesetzgeber das
Modell „Teilzeit“ offensichtlich nur als
Form einer – meist durch Frauen ausge-
übten – Halbtagstätigkeit im Blick. Wie
aber der Urlaubsanspruch zu berechnen
ist, wenn der Mitarbeiter nur einen Tag in
der Woche arbeitet oder die Arbeitstage
sogar von Woche zu Woche unterschied-
lich vereinbart werden, daran hatte der
Gesetzgeber damals nicht ansatzweise ei-
nen Gedanken verschwendet. Die Folge:
Der Werktagsbezug des § 3 BUrlG wurde
endgültig für unanwendbar erklärt. Eine
durch das BAG vorgegebene und zuwei-
len kompliziert anmutende individuelle
Quotierungsberechnung ersetzt diesen
Bezug nun.
Auf die Idee, den Abschied von der
Werktagsbetrachtung durch eine Geset-
zesänderung erkennbar zu machen, ist
der Gesetzgeber gleichwohl nicht gekom-
men. Auch als eine Form aufkam, die im
Jahre 1963 allenfalls in Zukunftsroma-
nen beschrieben worden war, kam es zu
erheblich verringerter Arbeitszeit noch
Urlaubsansprüche aus vorausgegangenen
Vollzeitbeschäftigungen vollumfänglich
zu gewähren sind.
Sind die Wertungen von 1963
mit Europarecht vereinbar?
Endgültig untauglich für die Praxis wur-
de der Wortlaut des BUrlG durch wei-
tere Entscheidungen des EuGH. Denn
der Gerichtshof hat nicht nur Details für
unwirksam erklärt, sondern den Grund-
sätzen der Urlaubsdogmatik aus dem Jahr
1963 insgesamt den Fangschuss gegeben.
Urlaub, so die Vorgabe aus den sechzi-
ger Jahren, ist kein Entgeltbestandteil,
sondern die Erfüllung einer sogenannten
Naturalschuld. Dieser Grundsatz spiegelt
sich insbesondere in den Vorschriften
über den Urlaubsverfall (§ 7 BUrlG) und
in dem Gedanken, dass die durch den
gesetzlichen Urlaubsanspruch zu ermög-
lichende „Erholung“ nicht nachholbar ist.
Beginnend mit dem Urteil zum Nicht-
verfall von Urlaub, der wegen Krankheit
nicht genommen werden kann, hat der
EuGH in zahlreichen weiteren Entschei-
dungen unterstrichen, dass die Wertun-
gen des Gesetzgebers aus dem Jahre 1963
europarechtlich zu ignorieren sind. Sogar
einen der letzten bislang unbehelligten
Grundsätze des BUrlG hat der EuGH an-
gezweifelt: die Frage, ob der Urlaubsan-
spruch auch erhalten bleibt, wenn der
Arbeitnehmer ihn von sich aus gar nicht
eingefordert hat. Es bleibt also die Frage:
Muss der Arbeitgeber die Einhaltung des
Mindesturlaubs aktiv überwachen?
Die Wertung des Gesetzgebers aus dem
Jahr 1963 wird in § 7 BUrlG deutlich. Dort
heißt es: Urlaub muss „gewährt“ werden,
was passiv im Sinne eines „Einforderns“
durch den Arbeitnehmer zu verstehen
ist. Was der EuGH davon hält, haben die
Richter mit dem Urteil vom 29. Novem-
Wechseln
Mitarbeiter von
Vollzeit auf
Teilzeit oder
umgekehrt,
muss der
verzweifeln, der
den jeweiligen
Urlaubsumfang
aus dem Gesetz
herauslesen will.
keiner Anpassung der Vorschriften des
BUrlG: Die Rede ist vom selbstbestimm-
ten Wechseln zwischen unterschiedlichen
Beschäftigungsumfängen.
Eine Konstellation, bei der das BUrlG
zwangsläufig kollabieren muss. Wechseln
Mitarbeiter beispielsweise von Vollzeit-
auf Teilzeit oder umgekehrt, muss also
derjenige verzweifeln, der den jeweiligen
Urlaubsumfang in den unterschiedlichen
Beschäftigungsphasen anhand des BUr-
lG bestimmen will. Auch hier hatte das
BAG versucht, Lösungen über eine Aus-
legung zu finden. Die Richter wollten
das BUrlG retten, indem sie die jeweili-
gen Abschnitte mit unterschiedlichem
Beschäftigungsumfang so betrachteten,
als wenn jeweils neue Arbeitsverhältnisse
entstanden wären.
Einen Strich durch diese Rechnung
machte jedoch der Europäische Gerichts-
hof (EuGH). Dieser entschied mehrfach,
dass ein einmal entstandener Urlaubsan-
spruch einen „Geldwert“ hat. Dieser ist
auch noch zu Zeiten zu erfüllen, in denen
nach den Buchstaben des BUrlG eigent-
lich eine Neubewertung erfolgen müsste.
Seitdem kann gerade ein Anspruch auf
Teilzeit zu skurrilen Ergebnissen füh-
ren, zum Beispiel dass auch in Zeiten
Mit speziellen Vorschriften wird
in Tarifverträgen den „unanwend-
baren“ Vorschriften des Bundes-
urlaubsgesetzes aus dem Weg
gegangen. Nicht tarifgebundene
Arbeitgeber können dies durch
Bezugnahmeklauseln nutzen.
Rechtsgrundlage § 13 BUrlG:
(1) Von den vorstehenden Vorschrif-
ten mit Ausnahme der §§ 1, 2 und 3
Abs. 1 kann in Tarifverträgen abge-
wichen werden. Die abweichenden
Bestimmungen haben zwischen
nichttarifgebundenen Arbeitgebern
und Arbeitnehmern Geltung, wenn
zwischen diesen die Anwendung
der einschlägigen tariflichen Ur-
laubsregelung vereinbart ist. Im Üb-
rigen kann, abgesehen von § 7 Abs.
2 Satz 2, von den Bestimmungen
dieses Gesetzes nicht zuungunsten
des Arbeitnehmers abgewichen
werden.
THOMAS MUSCHIOL ist Rechtsanwalt
im Arbeits- und betrieblichen Sozialver-
sicherungsrecht in Freiburg.
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