Personalmagazin 6/2017 - page 70

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RECHT
_COMPLIANCE
personalmagazin 06/17
S
pätestens seit dem VW-Diesel­
skandal sind Amnestiepro-
gramme bei unternehmensin-
ternen Untersuchungen in aller
Munde. Zur Aufklärung von möglichen
Compliance-Verstößen führen Unterneh-
men häufig Untersuchungen durch (so-
genannte „Internal Investigations“), um
mögliche Pflichtverstöße aufzuklären. Im
Zusammenhang mit solchen „Internal In-
vestigations“ werden häufig Amnestiepro-
gramme aufgelegt, um die Arbeitnehmer
zu ermuntern, aktiv an der Aufklärung
von Compliance-Verstößen mitzuwirken.
Solche Programme stellen oft ei-
ne sinnvolle Maßnahme zur internen
Aufklärung dar. Eine rechtskonforme
Gestaltung solcher Amnestievereinba-
rungen ist jedoch regelmäßig komplex.
Denn bei der konkreten Gestaltung einer
Amnestievereinbarung können vielfäl-
tige rechtliche Probleme entstehen.
Interne Untersuchung: Wann
Amnestievereinbarungen helfen
Für Unternehmen hat die Durchführung
von „Internal Investigations“ große Be-
deutung, wenn mögliche Compliance-
Verstöße im Raum stehen. Gerade in
Fällen, bei denen das Unternehmen mit
staatlichen Ermittlungsbehörden koope-
rieren möchte, sind interne Untersu-
chungen unabdingbar. Dadurch können
weitreichende behördliche Durchsu-
chungen und damit ein Imageschaden
für das Unternehmen vermieden wer-
den. Im Fall von möglichen Kartell-
rechtsverstößen kann das Unternehmen
Von
Philipp Byers
durch Kooperation mit der Kartellbehör-
de von den Vorteilen einer Kronzeugen-
regelung profitieren.
Häufig lassen sich Compliance-Verstö-
ße nur durch die Mitwirkung der eigenen
Mitarbeiter aufklären, da sie „Wissens-
träger“ sind. In der Praxis stellt sich das
Problem, dass die Aussagebereitschaft
der Arbeitnehmer oft wenig ausgeprägt
ist. Häufig ist die Abgrenzung zwischen
„Mitwisser“ und „Täter“ schwierig. Bei
der Offenlegung von Compliance-Ver-
stößen befürchten Mitarbeiter daher ar-
beitsrechtliche Sanktionen oder sogar
eine Strafverfolgung. Durch ein Amnes­
tieprogramm bezweckt der Arbeitgeber,
„den eisernen Vorhang des Schweigens“
zu durchbrechen und die Aussagebereit-
schaft der Arbeitnehmer zu fördern.
Weniger ist mehr: Wer an einem
Amnestieprogramm teilnehmen soll
Der Kreis der Unternehmensangehöri-
gen, die sich auf ein Amnestieprogramm
berufen können, ist zu begrenzen. Ins-
besondere sollten keine Mitglieder der
Unternehmensleitung Amnestie erhal-
ten. Für die Geschäftsleitung bestehen
besondere Compliance-Pflichten. Wei-
ter hat die Unternehmensleitung eine
Vorbildfunktion für die Arbeitnehmer.
Daher ist es regelmäßig nicht sinnvoll,
dass sich die Geschäftsleitung bei ei-
genen Rechtsverstößen auf Amnestie
berufen kann. Bei Aktiengesellschaften
ist zu beachten, dass der Aufsichtsrat
nach der BGH-Entscheidung „Arag/
Garmenbeck“ (Urteil vom 21.4.1997, Az.
II ZR 175/95) grundsätzlich verpflich-
tet ist, durchsetzbare Ansprüche ge-
gen Vorstandsmitglieder zu verfolgen.
Dies steht einem Amnestieprogramm
zugunsten von Vorständen regelmäßig
entgegen.
Arbeitnehmer sollten nur dann unter
den Schutz des Amnestieprogramms fal-
len, wenn sie einenMehrwert zur Aufklä-
rung beitragen können. Die Teilnahme
der Mitarbeiter an einem Amnestiepro-
gramm sollte daher nicht ohne Weiteres
erfolgen. Vielmehr sollte eine explizite
Zulassung durch das Unternehmen er-
folgen. Die Voraussetzungen, nach denen
der Arbeitgeber eine Zulassung erteilt,
sollten in einer Amnestievereinbarung
eng und präzise geregelt sein.
Inhalt der Amnestievereinbarung:
Arbeitgeber verzichtet auf Kündigung
Zentraler Punkt einer jeden Amnes-
tievereinbarung ist regelmäßig der
Verzicht des Arbeitgebers auf den Aus-
spruch einer fristlosen oder ordentli-
chen Kündigung. Dabei ist es umstrit-
ten, ob der Arbeitgeber im Rahmen
eines Amnestieprogramms wirksam auf
das Recht zur außerordentlichen oder
ordentlichen Kündigung verzichten
kann. Teilweise wird vertreten, dass ein
pauschaler Verzicht des Arbeitgebers
auf den Ausspruch einer fristlosen Kün-
digung unwirksam ist. Vielmehr müs-
sen dem Arbeitgeber zuvor hinreichend
konkrete Verdachtsmomente gegen den
Mitarbeiter vorliegen, damit ein wirksa-
mer Verzicht auf eine außerordentliche
Kündigung erklärt werden kann.
In der Praxiswürde dies denAbschluss
einer Amnestievereinbarung erheblich
erschweren. Der Arbeitnehmer wirkt
Hinweis statt Verweis
ÜBERBLICK.
Mitwissende Mitarbeiter helfen selten, Compliance-Verstöße aufzuklären.
Amnestieprogramme können die Furcht vor arbeitsrechtlichen Sanktionen nehmen.
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