personalmagazin 5/2016 - page 78

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RECHT
_DIENSTREISE
personalmagazin 05/16
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
dern in der Möglichkeit, die Zeiten einer
Dienstreise vertraglich zu klassifizieren.
Mit anderen Worten: Wie Zeiten einer
Dienstreise zu vergüten sind, darüber
können die Parteien im Rahmen der Ver-
tragsfreiheit selbst entscheiden.
Aber Achtung: Ohne Regelung besteht
für den Arbeitgeber ein hohes Risiko.
Dann gilt zunächst der Grundsatz, dass
auch „angeordnetes Nichtstun“ zu ver-
güten ist, eingeschränkt nur durch den
(unjuristischen) Einwand, dass dies erst
zum Gegenstand einer Forderung des
Arbeitnehmers gemacht werden muss.
Sinnvolle Regeln im Arbeitsvertrag
Was aber können oder sollten Arbeitge-
ber sinnvoll zur arbeitsvertraglichen Ar-
beitszeitbestimmung regeln? Hier hilft
der Blick in Tarifverträge, in denen oft
explizite Vorschriften zur Behandlung
von Dienstreisezeiten festgeschrieben
sind. Insbesondere gibt es oft Sonderre-
geln für Hin- und Rückreisezeiten, aber
auch pauschalierte Vergütungsmodelle,
die sich an der Weiterbezahlung der
betrieblichen Arbeitszeit orientieren.
Sofern beidseitige Tarifbindung besteht,
greifen diese Regeln ohnehin und kön-
nen einzelvertraglich nicht wirksam
abgeändert werden. Kollektiv wirkende
Regelungen in nicht tarifgebundenen
Unternehmen sind aber auch durch Be-
triebsvereinbarungen möglich.
Und spezielle einzelvertragliche Re-
gelungen? Generell sind Abweichungen
vom arbeitsrechtlichen Vergütungs-
anspruch auch individualrechtlich
möglich. Hier heißt es aber aufgepasst,
denn: Derartige Klauseln müssen einer
sogenannten „AGB-Prüfung“ standhal-
ten. Das BAG hat dazu in der genannten
Beifahrerentscheidung festgestellt: „Die
in Allgemeinen Geschäftsbedingungen
des Arbeitgebers enthaltene Klausel,
Reisezeiten seien mit der Bruttomonats-
vergütung abgegolten, ist intransparent,
wenn sich aus dem Arbeitsvertrag nicht
ergibt, welche „Reisetätigkeit“ von ihr in
welchem Umfang erfasst werden soll.“
Wem als tariffreies Unternehmen die Ab-
fassung von einzelvertraglichen Dienst-
reiseklauseln über Arbeitszeit zu riskant
ist, dem ist die Bezugnahme auf eine tarif-
liche Dienstreiseregelung zu empfehlen
– zumal Arbeitsgerichte oft deren Wirk-
samkeit bereits überprüft haben.
Wie aber wäre nach alldem der Fall un-
seres Franz K. zu lösen? Die Antwort wird
den erfahrenen Personalverantwortlichen
nicht überraschen. Sie lautet: Es kommt
darauf an. Zunächst darauf, ob Franz K.
für die Zugfahrten seine Freizeit geopfert
hat und sein Arbeitgeber von ihm keine
Tätigkeit erwartet. Ist dies der Fall, liegt
keine Arbeitszeit nach dem ArbZG vor.
Ob es Arbeitszeit im vertraglichen Sinne
und diese sogar zu vergüten ist, hängt
davon ab, ob und wie Dienstreisen tarif-
oder arbeitsvertraglich ausgestaltet sind.
Insoweit ist es durchaus geschickt, der
Frage nach der Arbeitszeit auf Dienstrei-
sen mit der Antwort „Bei uns wird das
wie folgt gehandhabt“ zu begegnen.
Die Arbeitszeit spielt für die Frage, ob ein Arbeitsunfall vorliegt, keine Rolle. Wichtig
ist vielmehr, ob der Unfall mit der Tätigkeit in einem inneren Zusammenhang steht.
„Auf einer Dienstreise bin ich doch rund um die Uhr durch die gesetzliche Unfallversiche-
rung versichert“. Wer diese Aussage macht, liegt genauso falsch wie derjenige, der ei-
nen Versicherungsschutz davon abhängig macht, wie die Frage der Arbeitszeit auf einer
Dienstreise zu bewerten ist. Weder der Begriff der gesetzlichen Arbeitszeit im Sinne des
Arbeitszeitgesetzes noch der arbeitsvertragliche Arbeitszeitbegriff spielen bei der Frage,
ob ein Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen ist, eine Rolle. Entscheidend ist hier allein,
ob ein innerer Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der den Unfall
verursachten Handlung besteht. So gesehen, kann ein Arbeitsunfall bei Dienstreisen
auch in Situationen bejaht werden, bei denen im „normalen Arbeitsleben“ kein Mensch
an die Prüfung eines Arbeitsunfalls denken würde. So wird ein innerer Zusammenhang
bei der sogenannten Nahrungsaufnahme kategorisch dem Privatleben zugeordnet. Im
Zusammenhang mit Dienstreisen wird dieser Grundsatz aber nicht selten durchbrochen.
So beispielsweise im „Palatschinken-Fall“, bei dem das Bundessozialgericht (Urteil vom
30.1.2007, Az. B 2 U 8/06 R) dargelegt hat, dass der Versicherungsschutz auf einer
Dienstreise dann besteht, wenn der Versicherte weder den Ort noch die näheren Um-
stände des Essens bestimmen könne. Der Unfall bestand im konkreten Fall im Auftreten
einer vom Palatschinken ausgelösten Nussallergie. Dem Argument, dass Lebensmittelal-
lergien ein allgemeines (unversichertes) Lebensrisiko darstellen, konnte der Mitarbeiter
entgegensetzen, dass seine Aufmerksamkeit auf die Gesprächsinhalte von Geschäfts-
partnern gelenkt und seine Konzentration hinsichtlich der Nahrungsaufnahme herabge-
setzt war. Daher erkannte er die Gefahr einer Allergie quasi „betriebsbedingt“ nicht.
Noch deutlicher wird die besondere Dienstreisesicht bei der „Grillentscheidung“ des
Bundessozialgerichts (Urteil vom 29.10.1986, Az. 2 RU 7/86). Hier hatte sich ein LKW-
Fahrer außerhalb der Arbeitszeit auf einem Parkplatz zum Übernachten eingerichtet,
einen Grill angeworfen und sich schwere Brandverletzungen zugefügt. Die Umstände, so
das BSG, ließen auch hier auf einen inneren Zusammenhang zwischen der versicherten
Tätigkeit und der Nahrungsaufnahme schließen. Die auch auf andere private Tätigkei-
ten übertragbare Entscheidungsgrundlage lautet demnach: Auch vermeintlich private
Tätigkeiten können versichert sein, wenn dargelegt werden kann, dass diese in ihrer
konkreten Ausgestaltung durch die Umstände der Dienstreise entstanden sind.
Auch Privates kann versichert sein
DIENSTUNFALL
THOMAS MUSCHIOL
ist
Fachautor und Rechtsanwalt
mit Schwerpunkt im Arbeits-
und betrieblichen Sozialversi-
cherungsrecht in Freiburg.
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