PERSONALquarterly 4/2016 - page 6

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SCHWERPUNKT
_INTERVIEW
PERSONALquarterly 04/16
PERSONALquarterly:
Inwiefern spielt aus Ihrer Sicht Sinn im
Unternehmen eine Rolle?
Kai Hockerts:
Sinn spielt eine sehr wichtige Rolle. Arbeitgeber
müssen Mitarbeitern Freiräume gewähren, da Tätigkeiten
nicht bis ins kleinste Detail kontrolliert werden können. Da-
zu benötigt die Belegschaft allerdings ein gemeinsames Ziel,
das für alle Mitarbeiter Sinn ergibt. Ohne eine gemeinsame
Purpose Mission wissen die Mitarbeiter nicht, in welche
Richtung sie entscheiden sollen, wenn sie sinnvoll und im
Sinne des gesamten Unternehmens agieren wollen.
PERSONALquarterly:
Sollten Unternehmen die Sinnfindung aktiv
gestalten?
Kai Hockerts:
In der Vergangenheit vertraten Wissenschaft und
Praxis die Meinung, dass der Sinn eines Unternehmens von
oben vorgegeben werden sollte. Das bedeutet, dass der CEO
Sense-Giving betreibt, während der Rest der Belegschaft fort-
während im Sense-Making aus dem Vorgegebenen steckt.
Aus meiner Sicht sollte der Prozess umgekehrt verlaufen.
Das Top-Management müsste sich auf die Sinnsuche bei
den Mitarbeitern begeben: ein Bottom-up-Ansatz sozusagen.
Führungskräfte müssen realisieren, dass eine Vielzahl von
Interpretationen für den Sinn ihres Unternehmens existiert
und dass sich diese stetig mit dem Zu- und Abgang der Mit-
arbeiter verändern. Dies kann auch Veränderungen in der
Unternehmensstrategie erklären, wenn sich Sense-Giving
und -Making im Top-Management durch Neubesetzungen
verschieben. Unterschiede im Sense-Making der Mitarbeiter
gegenüber dem Sense-Giving des Top-Managements können
auch der Grund dafür sein, dass Veränderungsprozesse im
Unternehmen zu schwerwiegenden Konflikten führen.
Ich gebe Ihnen dafür ein Beispiel. Die Copenhagen Bu­
siness School (CBS) veranstaltet für ihre 2.800 Erstsemes­
ter jährlich einen sogenannten Responsibility Day. In
anschließenden Interviews teilten uns die Studierenden
mit, dass die CBS „offensichtlich nicht selbst daran glaubt,
dass ein solcher Tag wichtig sei, sondern dass sich die CBS
vielmehr dazu verpflichtet fühlt, den Responsibility Day
zu veranstalten“. Die CBS betreibt Sense-Giving, indem sie
aussagt, dass Verantwortung wichtig ist. Die Studierenden
Bottom-up-Sense-Making:
Die Sinnrevolution von unten?
Das Interview mit
Prof. Dr. Kai Hockerts
führte
Eva Alexandra Schmitz
betreiben Sense-Making, indem sie interpretieren, dass die
CBS Verantwortung nicht ernst nimmt.
PERSONALquarterly:
Sie sagen also, dass das Sense-Giving von
unten aus starten sollte. Wie stellen Sie sich das genau vor?
Kai Hockerts:
Hier knüpfe ich gerne an das zuvor genannte Bei-
spiel an. Als Leiter der Responsible Management Education
an der CBS habe ich einen Sense-Making-Prozess gestar-
tet. Das bedeutet, dass wir unsere Studierenden in den 19
Studiengängen der CBS fragen, was Verantwortung für sie
bedeutet und wo sich dies in ihrem Studienfach zeigt. Für
Studierende aus dem Bereich Intercultural Market Commu-
nication bedeutet Verantwortung beispielsweise, kulturelle
Toleranz auszuüben und Mechanismen zu identifizieren,
wie diese erhöht wird. In der Mathematik oder der Ökono-
mie sprechen die Studierenden davon, dass sie erlernen
müssen, statistische Verfahren verantwortungsvoll zu ver-
wenden.
Sie sehen, es gibt sehr unterschiedliche Interpretationen,
die aus dem Sense-Making resultieren. Im Anschluss an
die Befragung der Studierenden legen wir die Ergebnisse
dem Dekan vor, um ein gemeinsames Leitbild für unsere
Institution zu finden.
Meine Rolle ist es, den Sense-Making- und Sense-Giving-
Prozess anzutreiben, indem ich Hochschulangehörigen
ermögliche, ihren kollektiven Sinn in der Organisation zu
finden und sich darüber mit Personen anderer Disziplinen
auszutauschen. Findet kein offener Austausch innerhalb
unserer Institution statt, kann dies den Zusammenhalt der
Organisation gefährden.
Sense-Giving und Sense-Making sind sehr wichtig. Dabei
ist zu beachten, dass es nicht „den einen“ Sinn gibt. Viel-
mehr sollten die Mitglieder einer Organisation im Dialog da-
rüber stehen, welchen Sinn sie als Mitarbeiter und welchen
Sinn die Organisation als Ganzes stiftet. Dies darf allerdings
nicht in einen endlosen Prozess münden. An der CBS halten
wir den Sinn, den sich die einzelnen Studiengänge geben, in
einem Report fest und passen die Aussagen in regelmäßigen
Abständen an. Damit haben sich die Disziplinen und die
Hochschule auf einen gemeinsamen Sinn geeinigt und aner-
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