Immobilienwirtschaft 4/2019 - page 70

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s ist gut und richtig, dass in Politik, Museumslandschaft
und Geschichtswissenschaften über die Rückgabe von
Gegenständen gerungen wird, die Kolonialmächte nach
Europa brachten. Noch erschreckender ist jedoch, was den um-
gekehrten Weg nahm. Dabei geht es weniger um Materielles,
wie Lokomotiven und Fabrikeinrichtungen.
Es geht um den Export von Werten. Dies beginnt bei der
Tätigkeit christlicher Missionare, geht über die Oktroyierung
von Sprache bis hin zu gutem Benehmen und angemessener
Kleidung – beziehungsweise um das, was Europäer dafür
hielten. Die bekannten Schwarz-Weiß-Fotografien afrika-
nischer Würdenträger mit Zylinder und Taschenuhr bilden
diese Effekte exemplarisch ab. Über Jahrtausende gewachsene
Kulturen wurden zu Gunsten einer vermeintlich überlegenen
zurückgedrängt – und die Hersteller von Zylindern in Europa
hatten weitere Absatzmärkte.
Noch heute für alle Probleme inAfrika das koloniale Erbe verant-
wortlich zu machen, ist gewiss ebenso naiv, wie diesen Sachver-
halt völlig auszublenden. In größeren Bevölkerungskreisen dürfte
heute Konsens darüber bestehen, dass „AmdeutschenWesen soll
die Welt genesen“ allenfalls ein gut gemeinter, aber ganz gewiss
kein guter Exportschlager war.
Möglicherweise speist sich aus dieser Einsicht die besondere
deutsche Form der Trump-Kritik. Der seit Vietnam in vielen
Reitzenstein denkt an ...
sozialen Milieus salonfähige Antiamerikanismus, ergänzt um
Globalisierungskritik seit der Jahrtausendwende, führt zu
bemerkenswerten Effekten: Einerseits ist es geradezu verblüf-
fend, wie erstaunt manche Menschen darüber sind, dass sich
ein Mann, der seine größten Erfolge als Reality-Show-Star
und Selbstdarsteller hatte, im Weißen Haus benimmt wie ein
Reality-Show-Star und Selbstdarsteller. Ein sehr reicher Mann
sitzt auf dem Stuhl des mächtigsten Mannes der Welt – und das
in einem Land, dessen ökonomischen Ambitionen die deutsche
Linke praktisch schon immer misstraute.
Das führt nicht nur dazu, dass Menschen, die gestern gegen
Freihandelsabkommen wie TTIP protestierten, kurz darauf
dagegen wetterten, dass Trump den Freihandel einschränke.
Donald Trump war nie Politiker und Diplomat – wohl auch
deshalb hatte er so gar keine Hemmungen, seine Ambitionen
für die Weltpolitik schon im Wahlkampf deutlich zu benennen:
„America first“. Diese vermeintliche Kampfansage an den Rest
der Welt wurde vom Juste Milieu prompt als perfekter Beweis
für den moralischen und wirtschaftlichen Imperialismus der
USA gegeißelt, verkündet vom Prototypen des Bling-bling-
Immobilienkapitalisten.
Das kann man durchaus so sehen, wenn man nicht im
Glashaus sitzt. Doch ob es um den Brexit geht, Zuwande-
rung, humanitären Schutz, EU-Außengrenzen, Nord Stream,
... moralischen
Imperialismus
Quelle: one line man/shutterstock.com
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