Immobilienwirtschaft 5/2018 - page 70

70 KOLUMNE
G
uter Umgang mit Immobilien ist eine Kunst. Manche
Immobilien sind auch Kunstwerke. Was Immobilien und
Kunstwerke oft gemeinsam haben, sind neben oft sehr
hohem Wert auch viele offene Fragen. Die Fragen sind umso
offener, je weniger man über die Geschichte und die Vorei-
gentümer weiß. Ein röhrender Hirsch in Öl auf Leinwand ist
auf dem Flohmarkt eher eine Belustigung. Wenn es aber ein
Geschenk von Konrad Adenauer an John F. Kennedy gewesen
wäre, würden Sammler gewiss mehr als den Flohmarktpreis
zahlen. Mancher Immobilieneigentümer wertet seine Gebäude
damit auf, Tafeln an der Fassade anzubringen, um so auf Pro-
minente hinzuweisen, die dort einmal gewohnt haben.
Es ist auch immer wieder zu lesen, dass Eigentümer den um-
gekehrten Weg gehen: Sie versuchen sogar gerichtlich zu ver-
hindern, dass an Vorbewohner erinnert wird – jedenfalls, wenn
diese die Liegenschaft zwischen 1933 und 1945 verlassen muss-
ten. Die so genannten Stolpersteine, die an die entrechteten und
ermordeten Opfer des NS-Regimes erinnern, dürfen in den
meisten deutschen Städten qua Gesetz ohne Zustimmung der
Liegenschaftseigentümer verlegt werden. Diese Erinnerung an
Vorbewohner ist manchem Eigentümer nicht recht, weshalb er
rechtlich dagegen vorgeht. Dabei soll auch argumentiert werden,
dass dieses Erinnern wertmindernd sei. Womit wir beimThema
wären: Wert, Recht und Gerechtigkeit.
Reitzenstein denkt an ...
Oft führte der Weg der Vorbesitzer von Kunst und Immobilien
in Länder, in denen systematisch ausgeplünderte jüdische Flücht-
linge nicht willkommen waren.
Unter Juristen nennt man die systematische Ausplünderung
der Juden nach 1933 „verfolgungsbedingten Vermögensent-
zug“. Kunstwerke, Immobilien und Unternehmen wurden oft
zum Schleuderpreis veräußert oder gleich beschlagnahmt. Jene
Juden, die Deutschland noch verlassen konnten, durften zuletzt
nur noch vier Prozent der erzielten Erlöse mitnehmen. Heute
jedoch sind sämtliche Fristen nach Bundesentschädigungsge-
setz und Bundesrückerstattungsgesetz abgelaufen.
Niemand muss etwas an die Verfolgten des NS-Regimes
zurückgeben. Doch dürfte es kaum jemand als gerecht emp-
finden, wenn ein Regime Bürger in die Lage bringt, sich von
Eigentum trennen zu müssen, um zu überleben. Auch aus
diesem Grunde haben 42 Staaten 1998 die Washingtoner Erklä-
rung unterschrieben. Darin verpflichten sich die Unterzeich-
ner, Eigentümer bzw. Erben verfolgungsbedingt entzogener
Kulturgüter ausfindig zu machen und mit ihnen eine „gerechte
und faire Lösung“ zu finden. Unabhängig von der Frage, wie
die Erklärung in den verschiedenen Staaten umgesetzt wird, ist
sie doch ein Beispiel dafür, wie jenseits des Rechts moralisch
richtiges Verhalten angestrebt wird. Doch das Thema betrifft
nicht nur Museen und Kommunalbehörden …
... die Rückgabe von
Immobilien an einst
Verfolgte
Quelle: one line man/shutterstock.com
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