DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 10/2018 - page 72

ENERGIE UND TECHNIK
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10|2018
Herr Dr. Lippert, mit den Forderungen nach
der Setzung von CO
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-Einsparungen als Maß-
stab, dem Ende der gebäude- bzw. sektoren-
weisen Betrachtung von Energieeffizienz-
maßnahmen oder einer Umstellung der Ver-
sorgung auf erneuerbare Energien steht die
Wohnungswirtschaft ja nicht alleine da, und
sie formuliert sie auch nicht erst seit gestern.
Warum ist es so schwer, bei der Politik Gehör
zu finden?
Zum einen ist die Komplexität der vielen Wech-
selwirkungen bei diesem Thema nicht leicht zu
durchdringen. Detaillierte Einzelanforderungen
verlocken da als scheinbar einfachere und besser
kontrollierbare Wege. Zum zweiten haben am
aktuellen Rechts- und Handlungsrahmen vie-
le Industrielobbyisten mitgewirkt – Stichwort
„Dämmwahn“. Änderungen würden deren Ge-
schäftsinteressen beeinträchtigen. Und drittens
sind die Auswirkungen größerer Umstellungen,
wie etwa die Einführung einer CO2-Bepreisung,
naturgemäß schwer einzuschätzen. Wer würde
wie be- oder entlastet? Wie würden eventuelle
Zusatzbelastungen im Bedarfsfall ausgeglichen?
Das ist ein dickes Brett.
Wir führen Debatten um das preiswerte
Bauen und Wohnen. Energetische Anfor-
derungen konterkarieren die Bemühungen
der Branche um tragbare Wohnkosten. Was
fordert die Wohnungswirtschaft?
Das Problem der Energiewende sind nicht die im
Klimaschutzplan 2050 verankerten Generalziele.
Teuer wird es erst dadurch, wenn auch die Wege
zur Zielerreichung vorgegebenwerden. Auch des-
halb fehlt es an einer vernetzten Betrachtung der
Sektoren imSinne von Synergien und Handlungs-
optionen. Viel besser wäre es, die Ziele ganz un-
gebunden angehen zu können. Technologieoffen-
heit, Sektorkopplung und vor allemeine effiziente
Bilanzierung der Maßnahmenwürden zu besseren
Lösungen, mehr Innovation, mehr Effizienz und
niedrigeren Kosten führen.
Ob es das Nutzerverhalten ist, die Relevanz
grauer Energie oder die Fokussierung auf
das einzelne Gebäude: Woran liegt es, dass
Immobilienwirtschaft und Politik scheinbar
von ganz unterschiedlichen Einflussfaktoren
ausgehen? Fehlt ein ausreichendes Monito-
ring?
Ja. Immer wieder werden politisch motiviert Pi-
lotprojekte initiiert, deren Ergebnisse dann vor-
schnell als übertragungsfähig postuliert werden.
Umgekehrt werden von Wohnungsunternehmen
aufgesetzte Vergleichsstudien mit ihren häufig
ernüchternden Ergebnissen als Einzelfälle abge-
tan. Ein nachwissenschaftlichen Kriterien ausge-
richtetes Erfolgsmonitoring würde hier Abhilfe
schaffen.
Aber Achtung: Die Erfahrung zeigt auch, dass der
Aufwand von Monitoringmaßnahmen erheblich
sein kann – bis hin zur deutlichen Minderung der
finanziellen Erfolgsbilanz energetischer Maßnah-
men. Deshalb gilt auch hier: mit Augenmaß vorge-
hen. Gute Beispiele hierfür gibt es aber.
Die von Ihnen beauftragte Studie baut auf
den Erfahrungen der Berliner Märkische
Scholle Wohnungsunternehmen eG und
ihrem Modellquartier Lichterfelde Süd auf.
Was kann die Branche tun, um auf diese
Erfahrungen - oder auf die Erfolge aus
anderen Projekten wie z.B. den Alfa- und
Beta-Projekten von BBU, VNW und nun vtw –
nachhaltiger aufmerksam zu machen?
Das ist ein schwieriges Feld, weil Energie und
Klimaschutz eher abstrakte Themen sind. Und
vieles von dem, was unsere Unternehmen mit
großem Aufwand organisieren und mit hohen
Investitionen auf die Beine stellen, wird leider
von der Gesellschaft als selbstverständlich hin-
genommen.
Letztlich hilft vor allem der stetige und offene
Dialog insbesondere mit der Fachpolitik und der
Fachverwaltung. Denn eines wird immer deutli-
cher: Wir brauchen eine Wende bei der Energie-
wende, um endlich ihre soziale und wirtschaft-
liche Unwucht ausgleichen zu können.
Vielen Dank für das Interview.
Die Fragen stellte Olaf Berger.
Interview mit Dr. Jörg Lippert
„Es
fehlt an einer vernetzten Betrachtung
der Sektoren
Lösungen für effizienten und kostengünstigen Klimaschutz im Wohnbereich
liegen längst auf dem Tisch. Diese endlich umzusetzen, fordert die Wohnungs-
wirtschaft von der Politik, angesichts der ernüchternden Ergebnisse bisheriger
Klimaschutz- und Energiepolitik. Das anstehende Gebäude-Energiegesetz
war Anlass für eine Studie des BBU. Der Leiter des Bereichs Technik des BBU
erklärt, warum derartige Studien immer noch wichtig sind.
Technologieoffenheit
Um die Energiewende effektiv und bezahlbar zu
machen, muss bei generell jedem Neubau- oder
Modernisierungsprojekt ein Wettbewerb um
die jeweils beste Lösung möglich sein. Hierbei
Quelle: BBU
muss insbesondere gelten: Erster Maßstab zur
Bewertung des Nutzens, der Sinnhaftigkeit und
auch der Förderfähigkeit von Maßnahmen ist die
Menge des damit langfristig und insgesamt ein-
gesparten CO
2
.
Fokus Erneuerbare Energien
Die direkt am Gebäude „gratis“ zur Verfügung
stehende Umweltenergie – z.B. in Form von Son-
ne, Erdwärme, Umweltwärme, Abwärme oder
Wind – ist immens. Sie ist ein wesentlicher
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