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man in dieser Beziehung von der Vergangen-
heit lernen?
Malter:
Sehr viel. Zwar habenwir heute einen an-
deren baugesetzlichen Rahmen. Aber die serielle
Gestaltung ganzer Gebäudetypen oder zumin-
dest von einzelnen Bauteilen ist auch heute ein
interessanter Ansatz – vor allem dann, wenn in
einer Stadt wie Berlin tausende von Wohnungen
vom selben Bauherrn, nämlich dem Land Berlin,
erstellt werden.
Dr. Hunger:
Wichtig ist allerdings, dass man nicht
die Dimensionen der Vergangenheit wiederholt.
Wenn Berlin heute zwölf neue Siedlungen plant,
die zusammen ungefähr die Größe von Hellers-
dorf haben, so ist das der richtige Weg. Ebenfalls
richtig ist der Versuch, eine Funktionsmischung zu
erreichen. Nur darf man dabei keine übertriebe-
nen Erwartungen haben. Wohnsiedlungen bleiben
Wohnsiedlungen, auch wenn sie einen gewissen
Anteil Gewerbe haben. Sie sind nicht vergleichbar
mit Innenstadtbereichen.
Kann man auch in Bezug auf effiziente
Grundrisse etwas von den Großsiedlungen
der Vergangenheit lernen?
Malter:
Die Flächeneffizienz der Großsiedlun-
gen ist unbestritten. Allerdings lassen sich kleine
Wohnungen auch mit anderen konzeptionellen
Ansätzen herstellen. Wenn wir Großsiedlungen
als Ideengeber zu Rate ziehen, dann bietet sich vor
allen Dingen die Standardisierung der Grundrisse
an. Es ist ein Vorteil, nicht von Etage zu Etage an-
dere Grundrisse zu planen, sondern die gleichen
Grundrisse aufeinanderzustapeln.
Dr. Hunger:
Ichwunderemich nur, dass auf Fach-
tagungen zwar immer über Standardisierung ge-
sprochenwird, dass aber dabei nur die Siedlungen
der zwanziger Jahre gelobt werden, während die
Phase des seriellen Wohnungbaus in der DDR als
peinlich ausgespart wird.
Malter:
Ich erlebe durchaus eine höhere Bereit-
schaft, sich mit dem industriellen Wohnungsbau
der DDR zu beschäftigen. Das ist erfreulich, stellte
er doch eine intensive Auseinandersetzung mit
dem Reformwohnungsbau der klassischen Mo-
derne der 1920er Jahre dar.
Trotz allem gibt es in den großen Siedlungen
soziale Probleme. Kann es gelingen, wieder
stärker eine sozial gemischte Struktur zu
schaffen?
Malter:
Da bin ich ausgesprochen optimistisch.
Natürlich ist ein großflächiges Wohngebiet, das
ein relativ niedriges Preisniveau hat, immer auch
Zuzugsort für Menschen mit niedrigem Einkom-
men, denen man aber nicht a priori unterstellen
darf, sie seien sozial prekär. Wenn ich sehe, welche
Schwierigkeitenwir inmanchen innerstädtischen
Quartieren haben, dann sind die Herausforderun-
gen in den Großsiedlungen überschaubar.
Dr. Hunger:
Die großen Siedlungen Ost- wie
Westdeutschlands sind nie Ursache, sondern al-
lenfalls Austragungsort von sozialen Konflikten.
Sie sind für breite Schichten der Bevölkerung und
nicht für die Reichen gebaut. Wichtig ist, dass die
Menschen, die in diesen Siedlungen großwerden,
die gleichen Chancen wie Menschen in anderen
Stadtteilen haben.
Der sensibelste Punkt ist dabei die Belegungs-
politik: Wenn die Kommunen – gerade vor dem
Hintergrund der Flüchtlingsthematik – zu einer
rigideren Belegungspolitik zurückkehrenwürden,
dannwären die Nachbarschaften schnell überfor-
dert und die Siedlungen wirklich gefährdet. Die
Großsiedlungen bleiben eine ständige Herausfor-
derung, die nur mit politischem Willen bewältigt
werden kann.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Christian Hunziker.
Zur Errichtung der Großsiedlung Hellersdorf
mussten alle Bezirke der DDR bzw. ihre
Plattenbaukombinate Baukapazitäten zur
Verfügung stellen. Hellersdorf war daher
lange Zeit fast ein Freilichtmuseum, an dem
die unterschiedlichen baulich-gestalterischen
Charakteristiken der einzelnen Kombinate bei
gleichen Plattenbautypen abzulesen waren.
Plan der Verteilung der Leistungen der Bezirke
in den Hellersdorfer Wohngebieten bzw.
-komplexen
Quelle: Kompetenzzentrum Großsiedlungen, Abbildung: Architektur der DDR 8’87
Wohnkomplex Berlin-Kaulsdorf
Nord zum Baubeginn der
Großsiedlung im Jahr 1983
Planungsmodell Hellersdorf aus dem Jahr 1987
Quelle: Kompetenzzentrum Großsiedlungen, Abbildung: Architektur der DDR 8’87