DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 7/2016 - page 12

STÄDTEBAU UND STADTENTWICKLUNG
Große Wohnsiedlungen haben in der breiten
Öffentlichkeit mit einem schlechten
Image zu kämpfen. Herr Malter, wie steht
Hellersdorf diesbezüglich heute da?
Ingo Malter:
Das Image hat sich dramatisch ver-
bessert. Das Problemwar hausgemacht, weil man
zur Wende die Großsiedlungen aus städtebaulicher
Sicht stigmatisiert und abgewertet hat. Es brauch-
te dann über 20 Jahre, umdieses Vorurteil aufzu-
brechen. Inzwischen achten dieMenschenwieder
auf Fakten. Außerdem haben wir viel investiert,
nicht nur materiell und baulich, sondern auch an
Mühe und Sozialarbeit, so dass die Großsiedlungen
jetzt ihre Vorteile wieder ausspielen können.
Welches sind diese Vorteile, Herr Dr. Hunger?
Dr. Bernd Hunger:
Der Typus der aufgelocker-
ten Stadtlandschaft hat den Vorteil, dass er grüne
Räume mit einer relativen Dichte verbindet. Au-
ßerdemgibt es in diesen Siedlungen einen großen
Anteil professioneller Vermieter, die in Quartiers-
zusammenhängen denken. Daraus resultiert gu-
tes Wohnen bei sicheren Vermietern. Der dritte
Vorteil ist, dass in diesen Gebieten von Anfang
anWohnungen und Gemeinbedarfseinrichtungen
gleichzeitig und in einemgut ausbalancierten Ver-
hältnis geplant wurden. Und schließlich sind die
Großsiedlungen viel flexibler umbaubar, als man
anfangs gedacht hat.
Heute steht wieder die Frage auf der
Agenda, wie sich schnell viel Wohnraum zu
günstigen Mieten schaffen lässt. Was kann
Interview mit
Dr. Bernd Hunger und Ingo Malter
„In der Standardisierung
liegt die Chance“
Welche Anregungen für die heutigen Bauaufgaben Groß-
siedlungen wie Berlin-Hellersdorf bieten, erklären Dr.
Bernd Hunger (l.), Vorsitzender des Kompetenzzentrum
Großsiedlungen e. V., und Ingo Malter, Geschäftsführer
der STADT UND LAND Wohnbauten-Gesellschaft mbH.
10
7|2016
mon-Hochschule erhalten. Damals wehrten sich
viele Studierende undProfessoren vehement gegen
den Standort an der Peripherie der Stadt; heute
hingegen bringen sie sich, beispielsweise durch
regelmäßig stattfindende Stadtteilerkundungen
(„Spazierblicke“), engagiert in den Stadtteil ein.
Besseres Image oder Großsiedlungs-Bashing?
Insgesamt stehen die Großwohnsiedlungen und
insbesondere Berlin-Hellersdorf heute besser
da, als in der Nachwendezeit befürchtet werden
musste. Monica Schümer-Strucksberg, ehemalige
Regierungsdirektorin in der Senatsverwaltung für
Stadtentwicklung, berichtet, dass es in den neunzi-
ger Jahren auf politischer Ebene umstritten gewe-
sen sei, ob überhaupt Investitionen in die großen
Siedlungen fließen sollten oder ob nicht Abriss die
bessere Lösung sei. Und IngoMalter, Geschäftsfüh-
rer der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft
Stadt und Land, macht darauf aufmerksam, dass
umdie Jahrtausendwende 14,9%derWohnungen
der (dann von der STADTUND LANDWohnbauten-
GesellschaftmbHübernommenen)Wohnungsbau-
gesellschaft Hellersdorf leer standen.
Es sei, betont Dr. Bernd Hunger, Vorsitzender
des Kompetenzzentrum Großsiedlung e. V., nicht
selbstverständlich, dass Hellersdorf und andere
Berliner Großsiedlungen heute beliebte Wohnge-
genden seien. Vielmehr sei die positive Entwick-
lung der politischen Weichenstellung der 1990er
Jahren zu verdanken, als letztlich doch erhebliche
Mittel in diese Siedlungen flossen und es so ge-
lang, das unfertige Wohngebiet zu einer grünen
Wohnstadt zu entwickeln. Dass Hellersdorf dabei
auch von der Qualität der ursprünglichen Planung
profitierte, machten auf der Tagung damals ver-
antwortliche Architekten deutlich: Das ursprüng-
liche Konzept legte die Basis dafür, dass es gelang,
mit seriellemWohnungsbauQuartieremit eigener
Gestaltqualität und Identität zu schaffen.
Heute beträgt der Leerstand im Hellersdorfer
Bestand der Stadt und Land nur noch 1,5 %. „Die
Großwohnsiedlungen sind insbesondere für junge
Familien mit Kindern wieder interessant gewor-
den“, stellt Stadtentwicklungssenator Andreas
Geisel fest. „Fakt ist: die meisten Vorbehalte ge-
genüber Großwohnsiedlungen sind Vorurteile.“
Auch Michael Sachs beobachtet, dass „viele Be-
wohner diese Quartiere als ihre Heimat betrach-
ten“. Allerdings beklagt Sachs insbesondere in
Architektenkreisen nachwie vor ein unqualifizier-
tes „Großsiedlungs-Bashing“. Dabei seien diese
Siedlungen „unverzichtbar für dieWohnraumver-
sorgung eines großen Teils der Bevölkerung“. Eine
Gefahr jedoch sieht – ganz ähnlich wie Dr. Bernd
Hunger (siehe Interview) – auch Michael Sachs:
Eine einseitige Belegungspolitik könnte die soziale
Stabilität der großen Wohngebiete gefährden.
Quelle:KompetenzzentrumGroßsiedlungen,Abb.: ArchitekturderDDR3’83
Quelle:STADTUNDLAND
Quelle:GdW
1...,2,3,4,5,6,7,8,9,10,11 13,14,15,16,17,18,19,20,21,22,...92
Powered by FlippingBook