Lange Jahre bewegte sich die Wohnungspolitik
unseres Landes in ruhigemFahrwasser. Nach dem
Bauboomder 1990er Jahre und Neubauzahlen von
bis zu 600.000 Wohnungen pro Jahr waren die
Wohnungsmärkte imWesentlichen ausgeglichen.
Die Demographen prognostizierten für Deutsch-
land sinkende Bevölkerungszahlen, die Bauzinsen
sanken. Zudem stand angesichts der schwierigen
konjunkturellen Situation nach der Jahrtausend-
wende die Haushaltskonsolidierung im Fokus. Im
Jahr 2006 wurden die Eigenheimzulage und die
degressive Abschreibung abgeschafft. Die soziale
Wohnraumförderung wurde in Folge der Födera-
lismusreformab 2007 auf die Länder übertragen.
In den Folgejahren sanken die Neubauzahlen
deutlich. Im Jahr 2009 wurden nur noch knapp
160.000 Wohnungen gebaut. Auch die soziale
Wohnraumförderung konzentrierte sichmehr auf
die Verbesserung der Wohnungsbestände als auf
den Neubau. Während noch in den 1950er Jahren
über die Hälfte der Wohnungsfertigstellungen auf
den sozialenWohnungsbau entfiel, sank der Anteil
des geförderten Neubaus auf zuletzt 6%.
Steigende Nachfrage
Der Umschwung auf den Wohnungsmärkten kam
mit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise
2007/2008. Auslöser war das Platzen der Immobi-
lienblase in den USA und deren Übergreifen auf das
internationale Bankensystem. Angesichts volatiler
Kapitalmärkte suchen viele Investoren und Ka-
pitalanleger seitdem sichere Geldanlageformen.
Die Nachfrage nach „Betongold“ stiegt sprunghaft
an und befindet sich noch immer auf hohem Ni-
veau. Mit der wirtschaftlichen Erholung ab 2009
ist auch die private Nachfrage nach Wohnraum
angestiegen. In vielen Universitätsstädten sorgen
steigende Studierendenzahlen für einen hohen
Konkurrenzdruck bei der Suche nach bezahlbarem
Wohnraum. Derzeit steigt der Bedarf durch den
Zuzug von Flüchtlingen zusätzlich an.
Diese insgesamt gestiegene Nachfrage trifft nun
auf ein zu geringes Angebot und treibt dieMieten in
die Höhe, insbesondere inwirtschaftsstarken Bal-
lungsräumen sowie Groß- undUniversitätsstädten.
Allein 2014 stiegen in Berlin die Angebotsmieten
gegenüber demVorjahr um9,1%, in Braunschweig
um 10% und in Wolfsburg gar um über 19%! Ein-
kommensschwächere Haushalte, aber auch Famili-
enmit mittleremEinkommen bekommen Schwie-
rigkeiten, bezahlbare Wohnungen zu finden.
Obwohl die Neubauzahlen seit 2010 steigen, lie-
gen sie deutlich unter dem Bedarf. Wir brauchen
deswegen schnell und spürbar mehr Neubau.
Schätzungsweise 350.000 bis 400.000 neueWoh-
nungenmüssen jährlich gebaut werden, damit der
Bedarf gedeckt und die Zuwanderer in den Woh-
nungsmarkt integriert werden können.
Um diese Ziele zu erreichen, brauchen wir in-
vestitionsfreundliche Bedingungen. Hier ist die
Wohnungspolitik auf sämtlichen föderalen Ebenen
gefordert. Wirmüssen klare Signale setzen, damit
Neubau und sozialer Wohnungsbau zusätzlichen
Schub erhalten. Außerdem sind mietrechtliche
und sozialpolitische Antworten auf die steigenden
Wohnkosten gefragt.
Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen
Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks hat 2014
gemeinsam mit Verbänden aus dem Wohnungs-
und Baubereich, Vertretern aller föderalen Ebe-
nen, dem Mieterbund sowie Gewerkschaften das
„Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen”
gegründet, das helfen soll, denwachsendenWoh-
nungsbedarf inDeutschland zu decken. Wir werden
noch in 2015 einenMaßnahmenkatalog vorlegen,
der zügig im Bundeskabinett verabschiedet und
umgesetzt wird.
Zur Sicherung des bezahlbaren Wohnens hat die
Bundesregierung bereits das Wohngeldrecht re-
formiert und die Mietpreisbremse eingeführt.
Einkommensschwächere Haushalte werden hier-
durch unterstützt. Nun geht es vor allem um die
investiven Rahmenbedingungen.
Angesichts steigender Zuwanderungszahlen hat
die Bundesregierung zudem mit den Ländern ver-
einbart, dass der Neubau von preiswertemWohn-
raum unverzüglich gefördert wird. Von 2016 bis
2019wird der Bund den sozialenWohnungsbau der
Länder mit 2 Mrd. € zusätzlich unterstützen. Das
bedeutet insgesamt 4Mrd. € an Förderung des so-
zialenWohnungsbaus durch denBund in den nächs-
ten vier Jahren. Zudem werden den Kommunen
Bundesimmobilien und –liegenschaften verbilligt
für sozialen Wohnungsbau bereitgestellt.
Aber wir brauchen neben diesenMaßnahmen auch
Entlastung auf der Kostenseite. Um dem Anstieg
der Baukosten Einhalt zu gebieten, haben wir im
Rahmen des Bündnisses für bezahlbares Wohnen
und Bauen eine Baukostensenkungskommission ins
Leben gerufen. Die behandelten Themen reichen
von der Baukostenentwicklung über Standard-
setzung, Technisierungsgrad, Industrialisierung
des Bauens, Planungsphase bis hin zur Lebenszy-
klusbetrachtung. Die Ergebnisse der Kommission
liegen Ende 2015 vor.
Insgesamt liegt noch ein langer Weg vor uns, bis
gerade in Städten und Gemeindenmit angespann-
ten Wohnungsmärkten ausreichend bezahlbarer
Wohnraum zur Verfügung steht. Wir brauchen in
jedem Fall mehr Neubau, damit wir den wachsen-
den sozialen, demografischen und ökologischen
Maßstäben gerecht werden können.
Dieses Ziel können wir nur mit den vielen innova-
tiven Unternehmen der Wohnungs- und Bauwirt-
schaft erreichen. Sie sind es, die den Neubau mit
ihren Investitionen und ihrer Kompetenz vorantrei-
ben. DieWohnungspolitikwird ihren Beitrag leisten
und die notwendigen Leitplanken setzen. Politik,
Wohnungs- und Bauwirtschaft müssen an einem
Strang ziehen: Denn gute Wohnverhältnisse sind
wesentliche Voraussetzung für gesellschaftlichen
Zusammenhalt, funktionierende Nachbarschaften
und sozialen Frieden in unserer Gesellschaft.
Gunther Adler
Staatssekretär
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau
und Reaktorsicherheit, Berlin
Quelle: Bundesregierung, Foto: Sandra Steins
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11|2015