DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 8/2015 - page 11

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Wohnraum, um Verdrängungsprozessen ent-
gegenzuwirken und die vorhandenen Nachbar-
schaften zu stabilisieren. Zudem werden Flä-
chenpotenziale für ergänzendenWohnungsbau
innerhalb der Siedlungsgefüge gesucht.
• In schrumpfenden Regionen geht es darum,
Sicherheit über Rückbaunotwendigkeiten und
dauerhaft notwendige Bestände zu erlangen,
um Fehlallokationen von Investitionen zu ver-
meiden.
Erforderlich sind ganzheitliche Konzepte zumUm-
gang mit den großen Mietwohnungsbeständen.
Hinsichtlich der Investitionsentscheidungenmuss
abgewogenwerden, ob bzw. inwelchen Fällen er-
gänzender Neubau, eineModernisierung oder der
Abriss von Wohngebäuden mit ggf. anschließen-
dem Ersatzneubau vorzuziehen ist.
Angesichts der Dimension der anstehenden Auf-
gaben war eine wissenschaftliche Aufarbeitung
der offenen Fragen überfällig, zumal der letzte
Großsiedlungsbericht der Bundesregierung lan-
ge zurückliegt: Er wurde im Jahr 1994 erstellt.
Hinzu kommt, dass sich in den letzten Jahren die
politische und planerische Diskussion in starkem
Maße auf die Innenstädte fokussiert hat. Die gro-
ßen Wohngebiete des Mietwohnungsbaus des 20.
Jh. standenweniger imFokus der fachöffentlichen
Diskussion und der Förderpolitik.
Die auf repräsentativen bundesweitenBefragungen
vonKommunen undWohnungsunternehmen sowie
vertiefenden Fallstudien beruhende Studie zeigt auf
einer breiten empirischen Basis, welche erfolgver-
sprechendenHandlungsansätze zurWeiterentwick-
lung großerWohnsiedlungen bestehen undwelche
Empfehlungen sich daraus für das politische und
wohnungswirtschaftliche Handeln ergeben.
Chancen und Gefährdungen
Aufgrund ihrer energetisch vorteilhaften kompak-
ten Bebauung bei gleichzeitiger starker Durchgrü-
nung kommen die Anforderungen des Klimaschut-
zes den Wohngebieten entgegen. Zudem eröffnet
die serielle Bauweise dieMöglichkeit, rationell und
damit kostengünstig zu sanieren und neue Qua-
litäten anzubieten. Die i. d. R. gute Ausstattung
mit umbaufähigen Gemeinbedarfseinrichtungen
erleichtert die Anpassung der Quartiere an sich
verändernde soziale und demografische Anforde-
rungen. Im Unterschied zum zersplitterten Klein-
eigentum besteht die Möglichkeit abgestimmten
Handelns professionellerWohnungsunternehmen
im Zusammenhang ganzer Quartiere.
Aufgrund des häufig höheren Anteils von Haus-
halten mit niedrigem Einkommen und mit Migra-
tionshintergrund bedürfen die großenWohnsied-
lungen besonderer sozialer Aufmerksamkeit. Die
Gebiete sind zwar nicht die Ursache sozialer Kon-
flikte, können aber eher zu Austragsorten solcher
Konflikte werden, wenn die Belegungspolitik nicht
den Zusammenhalt der Nachbarschaften sensibel
berücksichtigt. Hinzu kommt: Einige der großen
Wohngebiete haben nachwie vor Imageprobleme
und gegen Stigmatisierungen anzukämpfen.
In der öffentlichen Wahrnehmung werden die
großen Wohnsiedlungen in der Regel als Masse
weitgehend gleichartiger Bautenwahrgenommen.
DieMedien bedienen und verstärkenmitunter ab-
wertende Klischees. Die oft anzutreffende Veren-
gung auf „Platte“ (neue Bundesländer) und dicht
bebaute Hochhausensembles (alte Bundesländer)
beschreibt nur einen Teil der Wirklichkeit. Bei ge-
nauerer Betrachtung werden beim Siedlungsver-
gleich erhebliche Unterschiede deutlich, die von
der Zeit der Bebauung, der Siedlungsgröße, den
Intentionen der Bauherren und Planer ebenso ab-
hängen wie von der gegenwärtigen Bewirtschaf-
tung und Belegungspolitik.
Beitrag zur Wohnungsversorgung
Das Gutachtenmacht darauf aufmerksam, dass die
Qualität derWohnverhältnisse in den großen Sied-
lungen im internationalen Vergleich hoch ist. Die
durchschnittlichenMieten liegen i. d. R. unter den
gesamtstädtischen Werten. Die Bewohnerstruk-
turen sind geprägt durch einen höheren Anteil
von Haushalten, die auf preiswerten Wohnraum
angewiesen sind. Zudem ist der Anteil von Bewoh-
nern mit Migrationshintergrund häufig höher als
imDurchschnitt der jeweiligen Städte. Die großen
Wohnsiedlungen erbringen damit besondere Integ-
rationsleistungen, die allen anderen Stadtquartie-
ren indirekt zugutekommen. Umso wichtiger ist,
dass diese Rolle auch gewürdigt und nicht durch
unsensible Belegungspolitik überstrapaziert wird.
Erheblicher Investitionsbedarf
DieHochrechnung der Investitionsabsichten der in
der Studie befragten Wohnungsunternehmen
VERTEILUNG DER SIEDLUNGSTYPEN
GESAMTSCHAU DES INVESTITIONSBEDARFS 2014 BIS 2030
1960/80er Jahre West
„Urbanität durch Dichte“
1920/30er Jahre
1950/60er Jahre „Gegliederte
und aufgelockerte Stadt“
1970/80er Jahre Ost
„Komplexer Wohnungsbau“
18%
23%
17%
42%
Gesamter
Investitionsbedarf
in großen
Wohnsiedlungen
bis 2030
90 Mrd. €
Gesamte
voraussichtliche
Investitionstätigkeit
in großen
Wohnsiedlungen
bis 2030
67 Mrd. €
Normativer
Investitionsbedarf
Wohngebäude
56 Mrd. €
Realistisches
Investitions-
potenzial
Wohnungs­
unternehmen
33 Mrd. €
Investitions-
tätigkeit
Infrastruktur
und Umfeld
34 Mrd. €
Investitionslücke
Investitionsbedarf
Infrastruktur
und Umfeld
34 Mrd. €
4 Millionen Wohnungen
Quelle: Eigene Berechnungen
Quelle: Difu-Befragung Wohnungseigentümer 2014
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