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SPEZIAL RECRUITING
_DIGITALISIERUNG
spezial Recruiting 06/17
möglichkeiten zu limitieren oder so zu
steuern, dass weder Rechtschreibfehler
noch „nicht gewünschte“ Antworten
auftreten. Das führt mich direkt zum
vierten Punkt.
Was passiert bei abweichenden
Antworten?
Es ist für mich einWesenszug eines Chat-
bots, dem Nutzer die Freiheit jeglicher
Eingabeoptionen zu überlassen. Alles
andere sind interaktive FAQs. Die damit
verbundene hohe Komplexität bezüglich
der Antwortmöglichkeiten ist jedoch nur
theoretischer Natur. Jeder Chatbot hat
einen eigenen Daseinszweck. Die große
Mehrheit der Nutzer wird dies auch so
interpretieren. Wir müssen uns vor Au-
gen halten, dass es nicht unser Ziel ist,
eine allwissende künstliche Intelligenz
zu erschaffen. Daran arbeiten bereits
Google und Co.
Dennoch kann der Nutzer einMindest-
maß an flexibler Interaktion und Kom-
munikation erwarten. Insofern sollten
Sie beim Aufbau der Wissensdatenbank
auch Dialogstränge aufbauen, die auf
den ersten Blick nichts mit dem eigenen
Anwendungsfall zu tun haben. Halten
Sie zum Beispiel Antworten bereit für
den Fall, dass ein Kandidat den Bot in
einer anderen Sprache nutzen möchte.
Oder für den Fall von Beleidigungen,
Komplimenten, nochmaligem Nachfra-
gen oder Stichworten, die auf bestimmte
Bereiche Ihres Unternehmens hinwei-
sen könnten.
Ein gutes Beispiel hierfür bietet ein
Chatbot aus dem Jahr 2001: Der Avatar
Eve des Energiekonzerns Yello Strom
war voll von Dialogstrukturen, die mit
dem eigentlichen Use Case – dem Be-
antworten von Fragen rund um die
Stromtarife von Yello Strom – nichts zu
tun hatten. Die Firma ging dabei sogar
so weit, dass Eve bei wiederholt einge-
tippten Komplimenten das gelbe T-Shirt
lüftete, was als eine der ersten vorab ge-
planten und funktionierenden Viralkam-
pagnen des Internetzeitalters angesehen
werden kann.
Wie bereits angedeutet, können Sie
den Nutzer in seinen Antworten auch
steuern. Eine Möglichkeit sind anklick-
bare und vordefinierte Antwortfelder. So
können Sie dem potenziellen Bewerber
auf die Frage nach dem präferierten
Land eine Auswahlliste aller Länder ein-
blenden, in denen Ihre Firma operiert.
Sie sollten nur die Möglichkeit beden-
ken, dass der Nutzer dennoch eine eige-
ne Antwort eintippen kann.
Wann kommt es zur persönlichen
Kommunikation?
Egal wie gut Sie Ihre Dialogbäume auf-
bauen, irgendwann wollen entweder Sie
oder der Nutzer den Absprung hin zu
einem menschlichen Kontakt schaffen.
Überlegen Sie sich daher gut, an wel-
chen Stellen der Mensch-Maschine-Kom-
munikation Sie diese Eskalationspunkte
setzen. Theoretisch könnten Sie immer
dann, wenn der Bot eine Nutzereinga-
be nicht versteht, an einen Mitarbeiter
verweisen. Sie können dies auch stets
als eine dem Nutzer fortwährend offen
stehende Option – zuschaltbar per Stich-
wort, zum Beispiel „Mensch“ – anbieten
oder darauf als zusätzlichen Service am
Ende eines Dialogs verweisen.
Daneben sollten Sie sich fragen, wie
der Absprung zum Menschen für den
Nutzer und für Sie intern aussehen soll.
Fordern Sie den User schlicht dazu auf,
sich per E-Mail an Sie zu wenden, und
erzwingen Sie so einen Medienbruch?
Oder bauen Sie in Ihren Chatbot ein in-
ternes Alarm- oder Ticketsystem ein, das
einen Mitarbeiter per Notification infor-
miert, dem Nutzer nun persönlich zur
Hilfe zu eilen – auf demselben Kanal?
Wie mit persönlichen Daten
umgehen?
Grundsätzlich sollten Sie im Vorfeld de-
finieren, ob und wie Sie aktiv öffentlich
zur Verfügung stehende persönliche Da-
ten in der Bot-Kommunikation einsetzen
und wie Sie passiv mit vom Nutzer un-
gefragt bereitgestellten persönlichen In-
formationen umgehen wollen. Während
Sie Letzteres am Besten mit Ihrem Da-
tenschutzbeauftragten und der Rechts-
abteilung besprechen, kann Ersteres
entweder zu einer besseren Bindung
zwischen Nutzer und Bot oder zum Shit-
storm-Supergau führen.
Ist Ihr Job-Bot auf Facebook unter-
wegs, stehen Ihnen – ob Sie es wollen
oder nicht – per se Nutzerdaten zur
Verfügung, etwa der Vorname des Nut-
zers. Warum diesen also nicht direkt
in den Startdialog einbinden und den
Kandidaten mit seinem eigenen Namen
ansprechen? Ebenfalls technisch abgreif-
und in der Kommunikation einsetzbar
ist das Profilbild des Nutzers.
Der Sixt-Karriere-Bot etwa bindet das
Foto charmant mit in die Unterhaltung
ein. Während der Bot (angeblich) im
Hintergrund nach passenden Job-Ange-
boten sucht, präsentiert er das Profilbild
– sofern vorhanden – im Messenger-
Dialog mit den Worten „Hab’ mir dein
Profilbild gerade angeschaut. Du siehst
ja sympathisch aus.“ Was gut gemeint
ist, kann aber auch ein Schuss in den
Ofen werden. Flugs das Profilbild eines
Fake-Accounts mit dem eines Diktators
der vergangenen 100 Jahre ausgestattet
und schon attestiert der Bot dem ein oder
anderen Massenmörder sympathisches
Aussehen. So leicht kann eine coole Idee
zum Image-Problem werden.
Grundstein für die Digitalisierung
Sie sehen: Mal so eben einen Chatbot zu
entwickeln, ist schneller gesagt als ge-
tan. Jetzt in die Entwicklung einzustei-
gen, halte ich aber für extrem wichtig.
Nicht zuletzt, um sich mit der Technolo-
gie vertraut zu machen und einen ersten
Grundstein zu legen, um die Personal-
arbeit weiter zu digitalisieren. Und wer
sagt, dass Chatbots nicht auch authen-
tisch sein können?
DOMINIK A. HAHN
ist Lead
Recruitment Hubs bei der
Allianz SE.
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