Personalmagazin 7-2018 - page 87

die Selbstdarstellung der Bewerber einen
geringeren Einfluss auf die Interviewer-
gebnisse hat. Allerdings ist unklar, welche
Strukturierungskomponenten hier aus-
schlaggebend sind, vermutlich sind es die
auf die Auswertung bezogenen Struktur-
komponenten.
Die von Strukturierungsanhängern ger-
ne aufgestellte Regel, dass man keinerlei
Nachfragen stellen darf, sehen einige kri-
tisch. Gerade durch Nachfragen könnte
man, so die Hoffnung, Impression Ma-
nagement entlarven. So oder so empfiehlt
es sich, verfälschbare Verfahren (wie das
Interview, aber auch Assessment Center
und Persönlichkeitsfragebogen) um In-
formationen aus weniger verfälschbaren
Verfahren (biographische Analysen, Leis-
tungstests) zu ergänzen.
Die aktuelle Situation der
Interviewpartner bedenken
Interviewer und Interviewte befinden sich
in einer bestimmten Situation (zum Bei-
spiel Entscheidungsdruck). Diese ist beim
Interview ebenso ausschlaggebend wie
die gesellschaftliche Situation (zum Bei-
spiel kulturelle Normen bei der interna-
tionalen Personalauswahl oder rechtliche
Rahmenbedingungen) und die Situation
der Organisation insgesamt (zum Beispiel
Personalmangel). So kann beispielswei-
se eine höhere Strukturierung im Allge-
meinen und der Verzicht auf Small Talk
und Nachfragen im Besonderen mit ei-
ner geringeren Bewerberorientierung und
Akzeptanz einhergehen. Dass wiederum
kann zu unerwünschten Entscheidungen
auf Seiten der Bewerber führen – sprich:
Absagen für die ausgeschriebene Stelle.
Das Interview muss einerseits über ver-
schiedene Bewerber hinweg vergleichbar
sein und sich andererseits flexibel der
jeweiligen Situation anpassen.
Das Interview ist zu komplex
für pauschale Behauptungen
Das Interviewgeschehen ist überaus
komplex. Die pauschale Behauptung,
dass unstrukturierte Interviews über-
legen sind, ist ein wenig durchdachter,
aus der Methoden-Maschinerie abgefeu-
erter Schnellschuss. Nicht besser aber ist
es, sich aus den zahlreichen Aspekten,
die eine Interviewstruktur ausmachen,
willkürlich einige herauszugreifen (wie
das Verbot von eigenen Nachfragen und
Fragen seitens der Bewerber) und diese
Bruchstücke als Interview-Katechismus
auszugeben.
Es mag beruhigen, wenn man sein In-
terviewvorgehen strengen Regeln unter-
wirft, aber das nützt nur etwas, wenn
diese Regeln für den jeweiligen Fall
grundsätzlich dienlich und für den jewei-
ligen Interviewverlauf flexibel anwendbar
sind. Umgekehrt gilt: Wer alle Strukturie-
rungsregeln in den Müll wirft und sich
nicht zur Vorbereitung und kontrollierten
Durchführung eines Interviews durchrin-
gen kann, der dokumentiert, dass er mit
leeren Händen dasteht.
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Eignungsdiagnostik
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