Personalmagazin 7-2018 - page 84

ter arbeiten und „nur“ unstrukturierte
Interviews durchführen, paradoxerweise
insofern den besseren Job machen, in-
dem sie „per Zufall“ relevante generische
Eignungsmerkmale erfassen.
Was bedeutet Strukturierung
überhaupt?
Ich möchte nun unabhängig von dem ein-
gangs zitierten Befund die Frage nach der
Qualität von Eignungsinterviews betrach-
ten. Hierzu benötigen wir mehr Farben
als nur das Schwarz-Weiß der Schlagworte
„strukturiert“ und „unstrukturiert“. An-
ders formuliert: Der Begriff „strukturiert“
hat zahlreiche Facetten. Interessanter-
weise gab es zwar schon immer einen
großen Konsens darüber, dass Interviews
strukturiert sein sollten, aber wenig ge-
teilte Meinungen darüber, was mit Struk-
turierung überhaupt gemeint ist. Populär
gewordene Punkte wie „gleiche Fragen
für alle“, „Verzicht auf Nachfragen so-
wie auf Fragen seitens der interviewten
Personen“ die einigen Verfechtern der
Strukturierung als heilig gelten, sind nur
drei von 15 Aspekten, die beispielsweise
Michael A. Campion und Kollegen (1997)
unter Interview-Strukturierung fassen.
Hierzu zählt zum Beispiel auch die an-
forderungsanalytische Fundierung der
Fragen.
Wenn wir robuste Erkenntnisse und
praktische Handlungsleitlinien gewin-
nen wollen, müssen wir das Interview
als hochkomplexe Methode begreifen, de-
ren Erfolg zahlreichen Einflussfaktoren
unterliegt (siehe Grafik). Interviews sind
interaktiv, was ein wesentlicher Grund
für ihre Beliebtheit, aber auch eine we-
sentliche Ursache für ihre vergleichsweise
geringe Kontrollierbarkeit ist. Im Folgen-
den stelle ich wesentliche Faktoren des
Interviewprozesses und ihre Bedeutung
für den Interviewerfolg dar. Ich beschrän-
ke mich auf die psychologischen Aspekte,
zusätzlich sind natürlich rechtliche Vor-
schriften zu beachten.
Die Anforderungsanalyse ist
und bleibt der Ausgangspunkt
Zunächst geht es darum, was mit einem
Interview überhaupt erfasst werden soll.
Dies muss in der Vorbereitung des Inter-
views festgelegt werden. Grundlage für
diese Festlegung ist das Anforderungs-
profil. Die Interviewer müssen entschei-
Merkmale, zum Beispiel:
Anzahl,
Qualifikation,
Interviewerfahrung und
Training
Merkmale, zum Beispiel:
Qualifikation,
Erfahrung und Vorbereitung,
Neigung zu Impression
Management
Quelle: Martin Kersting
Bedingungen für Eignungsinterviews
Situation Interviewer, zum Beispiel:
• Vorab-Information über Bewerber
• Anzahl Bewerber
• Zeitdruck
• Bedeutsamkeit der Entscheidung
• (wahrgenommene) Attraktivität der Stelle
• (empfundener) Entscheidungsdruck
Situation Organisation, zum Beispiel:
• Employer Brand
• wirtschaftliche Situation
• Fluktuationsrate
• demonstrierte/gelebte Kultur
Interviewer
Interviewter
Interaktion
MÖGLICHKEITEN DER PROZESSGESTALTUNG FÜR DEN INTERVIEWER
zum Beispiel:
• Welche Eignungs-
merkmale erfassen?
• Ist die Merkmals-auswahl anforde-
rungsanalytisch
fundiert?
Auswertung
zum Beispiel:
• Art (Telefon, Video,
persönlich)
• Anzahl und Dauer
• Interviewleitfaden
• Art der (Nach-)
Fragen
• Interaktivität
zum Beispiel:
• Art der Dokumen­
tation (z.B. Papier,
Audio, Video),
• (Verhaltens-)
Checklisten
zum Beispiel:
• Scoring pro Frage?
• Weitere Infoquellen?
• Verhaltensver­
ankerte Skalen?
• Integration der
Ergebnisse
Situation Interviewter, zum Beispiel:
• Vorab-Information über die Organisation,
die Stelle und das Verfahren
• Finanzielle/soziale Situation
• Bedeutsamkeit der Entscheidung
• (wahrgenommene) Attraktivität der Stelle
Situation Gesellschaft, zum Beispiel:
Personalmangel
• arbeitsrechtliche Bestimmungen
• Datenschutzregelungen
Merkmale beider, zum Beispiel: Alter, Geschlecht, Kultur, Persönlichkeit, Fähigkeiten
Dokumentation
Durchführung
Vorbereitung
INTERAKTION
RAHMENBEDINGUNGEN
84
personalmagazin 07.18
HR-Management
1...,74,75,76,77,78,79,80,81,82,83 85,86,87,88,89,90,91,92,93,94,...116
Powered by FlippingBook