personalmagazin 5/2016 - page 77

77
05/16 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
Lohnsteuerrechts“; stets muss zur richti-
gen Beantwortung klar sein, auf welcher
Regelungsebene man sich bewegt.
Beispiel: Buchhalter auf Dienstreise
Damit nicht genug: Manch einer spricht
von der Arbeitszeit und meint damit
aber gar nicht die quantitative Zeit-
bestimmung, sondern die Tages- oder
Nachtzeiten, in denen die Arbeitszeit
abzuleisten ist, also die Uhrzeiten für
Beginn und Ende der Arbeitszeit. Vor
diesem Hintergrund wird deutlich, dass
die Suche nach einer rechtlich richtigen
Lösung in den geschilderten Diskussio-
nen einem Stochern im Nebel gleicht.
Warum es auf die speziellen Begriffs-
klassifizierungen ankommt, soll an einem
Beispiel geschildert werden: Franz K. ist
Buchhalter in der Passauer Niederlassung
einer bundesweit tätigen Immobilienfir-
ma. Er bekommt die Anweisung, an einer
ganztägigen Besprechung in Hamburg
teilzunehmen. Franz steigt am Vortag im
Anschluss an seinen Arbeitstag in den
ICE. Die Fahrzeit beträgt sieben Stunden.
Nach der Übernachtung imHotel und dem
Konferenztag tritt er die Rückfahrt an und
ist erst nach Mitternacht wieder in Pas-
sau. Wie sieht nun die arbeitszeitrecht-
liche Seite dieser Dienstreise aus?
Prüfstein 1: Arbeitszeit nach Gesetz
Würde der Ablauf der Dienstreise ge-
gen das Arbeitszeitgesetz (ArbZG)
verstoßen, hätte dies für den Arbeitge-
ber ernstzunehmende Konsequenzen,
selbst wenn Franz K. selbst keine Prob-
leme mit dem Kurztrip hätte oder sogar
selbst den Vorschlag gemacht hätte. Das
Arbeitszeitgesetz ist öffentliches Arbeit-
nehmerschutzrecht und damit unab-
dingbar. Verstöße dagegen sind zudem
bußgeldbewehrt.
Sollte Franz K. mit dem Ablauf nicht
einverstanden sein, käme noch ein ar-
beitsvertragliches Risiko für die Firma
hinzu. Franz K. könnte die Dienstreise
verweigern, wenn diese erkennbar nur
unter Verstoß gegen das ArbZG abzulei-
sten wäre. Der Blick auf den Fahrplan von
Franz K. zeigt: Würde die Fahrt mit dem
ICE als Arbeitszeit im Sinne des ArbZG
beurteilt, wäre ein Gesetzesverstoß evi-
dent. Zusammen mit dem bereits abge-
leisteten Tagessoll am Anreisetag und der
Addition der Dienstbesprechung mit den
Rückfahrzeiten wären die Höchstgrenzen
der täglichen Arbeitszeit zweifelsohne
überschritten. Auch die vorgeschriebene
Ruhezeit von elf Stunden wäre bei derar-
tigen Vortagsanreisen unerfüllbar.
Aber sind Fahrtzeiten, wenn sie vom
Arbeitgeber angewiesen und – worüber
noch zu sprechen sein wird – mögli-
cherweise sogar zu vergüten sind, nicht
automatisch Arbeitszeiten? Schließlich
erfolgen sie ja allein im Interesse des Ar-
beitgebers. Nein, sagt das Bundesarbeits-
gericht (BAG) in einer Entscheidung vom
11. Juli 2006 (Az. 9 AZR 519/05), in der zu-
nächst klargestellt wird, dass diese Frage
nichts damit zu tun hat, ob der Mitarbei-
ter die Fahrt arbeitsrechtlich durchführen
muss, und auch nicht, ob er die Fahrt-
zeiten vergütet bekommt. „Wegezeiten
einer Dienstreise“, so das BAG, „gelten
jedenfalls dann nicht als Arbeitszeit im
Sinne von § 2 Abs. 1 ArbZG, wenn der
Arbeitgeber lediglich die Benutzung eines
öffentlichen Verkehrsmittels vorgibt und
dem Arbeitnehmer überlassen bleibt, wie
dieser die Zeit nutzt.“
Aus dem Umkehrschluss dieser Ent-
scheidung folgt aber auch: Wird der Ar-
beitnehmer angewiesen, während einer
An- oder Rückfahrt Tätigkeiten auszu-
üben, so führt das zu einer Bewertung
als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeit-
gesetzes. Eine vomArbeitgeber verlangte
„Bearbeitung von Akten, E-Mails, Vor-
und Nachbereitung des auswärtigen Ter-
mins“, so das BAG, sei dann „Vollarbeit“.
Mit anderen Worten: Der Arbeitgeber
hat die Zuordnung von Wegezeiten als
Arbeitszeit im Sinne des ArbZG in der
Hand. Will er vermeiden, mit dem Ge-
setz in Konflikt zu geraten, sollte er die
Benutzung eines öffentlichen Verkehrs-
mittels anordnen und weder direkt noch
indirekt den Arbeitnehmer auffordern,
während dieser Wegezeiten Arbeiten
durchzuführen. Macht er dies dennoch
aus eigenem Antrieb, mag dies nachvoll-
ziehbar sein und auch für den Arbeitge-
ber ein verwertbares Ergebnis bringen.
Rechtlich aus dem Blickwinkel des
ArbZG ist diese Arbeit aber eine selbst
gewählte Form der Freizeitgestaltung.
Prüfstein 2: Arbeitszeit nach Vertrag
Ganz anders kann die Beurteilung von
Dienstreisen unter dem Aspekt des
arbeitsvertraglichen Begriffs von Ar-
beitszeit aussehen. Im Gegensatz zur
öffentlich-rechtlichen Betrachtung des
Arbeitszeitgesetzes kommt diese Dis-
kussion erst in Konfliktfällen auf. Denn
hier gilt der Grundsatz: „Wo kein Kläger,
da kein Richter“. Was könnte nun im
Fall des Franz K. an Diskussionspunk-
ten auf den Richtertisch gelangen?
Zunächst könnte Franz K. schlicht be-
haupten, dass der Arbeitgeber ihm die
Wartezeit im Zug verordnet hat und da-
mit diese Zeit auch als Arbeitszeit im ar-
beitsvertraglichen Sinne vollumfänglich
zu bezahlen sei. Bei dieser Argumenta-
tion steht ihm zunächst auch das BAG
zur Seite. Dieses hat in seiner „Beifahrer-
entscheidung“ (Urteil vom 20.4.2011, Az.
5 AZR 200/10) klargestellt, dass grund-
sätzlich auch das „Verordnen von Nichts-
tun“ vergütungspflichtig ist. Könnte man
dieses Urteil konsequent auf Franz K.
anwenden, wäre auch zu diskutieren,
ob nicht das Argument der „durchlau-
fenden Stechuhr“ zutrifft. Denn die
Fahrt nach Hamburg, der Aufenthalt im
Hotel, die Anfahrten zum Konferenzort:
All das sind Zeiten, die der Arbeitgeber
als Wartezeit im Sinne eines „Verordnen
von Nichtstun“ vorgegeben hat.
Der Ausweg aus dieser uferlosen
Betrachtung findet sich nicht in der
allgemeinen Einschränkung des Vergü-
tungsanspruchs nach § 611 BGB, son-
Urteil
Die sogenannte „Beifahrerentschei-
dung“ des BAG im Volltext (HI2719951)
Die Arbeitshilfe finden Sie im Haufe
Personal Office (HPO). Internetzugriff:
ARBEITSHILFE
1...,67,68,69,70,71,72,73,74,75,76 78,79,80,81,82,83,84,85,86,87,...92
Powered by FlippingBook