DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 5/2016 - page 61

Jürgen Steinert:
In Berlin zeigt die Diskussion
über die Nutzung des Tempelhofer Feldes, dass
einem großen Teil der Bevölkerung überhaupt
nicht klar ist, welche Dimension die Unterbrin-
gung und die Integration der Flüchtlinge in den
nächsten Jahre für die Bundesrepublik haben.
Wenn wir dieser Haltung nicht entgegenwirken,
werden die politischen Extreme stärker werden.
Und entgegenwirken könnenwir dieser Stimmung
nur, wenn wir mit dem Argument der menschen-
würdigen Unterbringung aller Menschen in unse-
rer Gesellschaft arbeiten.
Prof. Dr. Herbert Ludl:
Keine anderen Unterneh-
men können den Prozess der Integration in Öster-
reich so effizient unterstützenwie gemeinnützige
Bauvereinigungenmit ihrer genossenschaftlichen
Tradition. So haben wir z. B. in Wien die Traditi-
on der Gemeinschaftswaschküchen. Die werden
fleißig benutzt. Die Waschküche ist der Ort, wo
man sich trifft, wo die Kinder in Sichtweite im
Hof miteinander spielen, wo man sich austauscht
und seine täglichen Probleme bespricht. Das dient
auch dem Spracherwerb. Solche Gemeinschafts-
einrichtungen baut kein privater Investor.
Axel Gedaschko:
Genau solche positivenMeldun-
gen brauchen wir. Es gibt mittlerweile überall in
Deutschland Projekte, bei denen über Zwischen-
nutzung nicht geredet wird, sondern bei denen sie
realisiert wird. Die Wankendorfer Baugenossen-
schaft in Schleswig-Holstein z. B. – kein großes
Unternehmen – baut solche Unterkünfte, die als
Erstaufnahmeeinrichtung und dann zur Zwischen-
unterbringung dienen. Und wenn man dann Bal-
kone anbaut und Fahrstühle installiert, hat man
gute Wohnungen.
Solche Projekte werden von Pionieren in der
Wohnungswirtschaft mittlerweile überall reali-
siert. Unsere gemeinsame Aufgabe ist es, diese
Pionierprojekte stärker ins Licht zu rücken und
auch unsere anderen Kollegen zumotivieren, sich
an diesem Prozess zu beteiligen.
Jürgen Steinert:
Ich habe mit einer politischen
Bemerkung begonnen, ich möchte mit einer en-
den: Die Bevölkerung erwartet, dass die großen
politischen Parteien mit den Problemen fertig
werden. Deshalb ärgere ich mich, dass SPD, CDU
und CSU in einen Wettbewerb der parteipoli-
tischen Profilierung um das Flüchtlingsthema
eingetreten sind, ohne daran zu denken, wie die
Wähler das aufnehmen. Es wäre des Schweißes der
Edlen wert, die Parteispitzen zu einem Konklave
zu zwingen, damit sie begreifen, dass der Bestand
unseres demokratischen Systems nicht gesichert
wird, wenn der Wettbewerb in dieser existenziel-
len Frage zu weit ausufert.
Frau Kern, meine Herren, ich bedankemich für die
Diskussion.
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