DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 5/2016 - page 52

Die Flüchtlingskrise pointiert die Krisis des
bezahlbaren Wohnungsbaus in Deutschland.
Deshalb darf man das Thema des bezahlba-
ren Wohnens nicht vom Flüchtlingsthema
trennen. Wenn man aber über finanzielle
Mittel nachdenkt, die die Bundesrepublik
Deutschland nun in erheblichem Umfang
aufwenden will, wäre es Wasser auf die
Mühlen bestimmter politischer Parteien,
dieses Geld ausschließlich für Flüchtlinge
auszugeben. Vielmehr müssen die Anstrengungen allen Menschen gelten,
die in Deutschland leben und wohnen wollen.
Was auf uns zukommt, hat die NRW-Bank zusammen mit dem Bauministe-
rium von Nordrhein-Westfalen zu beziffern versucht. Wir hatten die Faust-
formel entwickelt, dass wir pro 100.000 Flüchtlinge ungefähr 16.000
bis 20.000 zusätzliche Wohnungen benötigen. Die NRW-Bank hat allein
für Nordrhein-Westfalen einen zusätzlichen Flächenbedarf von 1.840 ha
für Wohnungsneubau errechnet. Nun gibt es ja Stimmen, die behaupten,
dass wir keine einzige neue Wohnung bräuchten. Wir müssen mit der Mär
aufräumen, es gebe 1,7 Mio. leere Wohnungen in Deutschland. Diese Zahl
stammt vom Zensus 2011 und umfasst auch Wohnungen, die gar nicht in
einem vermietbaren Zustand waren. Seither haben wir – unabhängig von den
Flüchtlingen – eine massive Zuwanderung erlebt. Die damalige Leerstands-
zahl müssen wir deshalb um mindestens 25% reduzieren. Wenn wir dann
noch die Bestände, die nicht mehr bewohnbar, in der Modernisierung oder
im Vermietungsprozess sind, herausrechnen, kommen wir auf max. 700.000
freie Wohneinheiten. Von denen gehört über die Hälfte Privateigentümern,
die z. T. gar nicht vermieten wollen.
Wenn wir uns auf das konzentrieren, was die Wohnungswirtschaft leisten
kann, ist es die Situation nach Abschluss des Asylverfahrens. Das ist zumin-
dest die Theorie. Praktisch ist die Wohnungswirtschaft auch schon während
des Asylverfahrens mit im Boot, da je nach Bundesland zwischen einem
Drittel (Baden-Württemberg) und 90% (Schleswig-Holstein) der Asylbe-
werber dezentral in Wohnungen untergebracht sind. In diesem Stadium gibt
es noch eine Begleitung durch die Kommune oder den Landkreis. Wenn das
aber abgeschlossen ist und der anerkannte Flüchtling Freizügigkeit genießt,
müssen sich Menschen, die mit den deutschen Gegebenheiten überhaupt
nicht vertraut sind, eine Wohnung organisieren. Diesen Menschen muss also
erklärt werden, wie sie am Wohnungsmarkt agieren können.
Um eine konfliktträchtige Situation zu vermeiden und Integration zu
ermöglichen, brauchen wir eine Wohnortzuweisung. Wir haben dieses Ins-
trument schon einmal gehabt, als in den 1990er Jahren 4 Mio. sog. Russ-
landdeutsche in die Bundesrepublik kamen. Wohnortzuweisung bedeutet,
die Menschen z. B. drei Jahre an einen Wohnort zu binden. Wenn sie doch
wegziehen, verlieren sie jeglichen Anspruch auf staatliche Unterstützung.
Man hat 2007 diese Maßnahme evaluiert und festgestellt, dass sie hoch-
gradig erfolgreich war. Denn zu diesem Zeitpunkt lebten noch zwei Drittel
der Menschen an dem Ort, dem sie zugewiesen waren. Mittlerweile scheint
diese Idee der Wohnortzuweisung weitgehend Konsens zu sein. Diese Maß-
nahme würde die Situation für Städte wie Berlin oder Hamburg etwas ent-
schärfen, die derzeit auf dem Wohnungsmarkt massive Probleme haben.
Bei allen Gedanken über mehr Neubau gibt es eine Grenze der finanzi-
ellen Belastbarkeit unserer Unternehmen. Eine Umfrage in den Gremien
hat ergeben, dass die Neubaubereitschaft groß ist, dass sich aber 12% der
Unternehmen schon jetzt Restriktionen ausgesetzt sehen. Um die Dimen-
sion der Aufgabe zu verdeutlichen: Alle GdW-Unternehmen zusammen
haben im Jahre 2015 20.400 Wohnungen fertiggestellt. Insgesamt wurden
in Deutschland im Jahr 2014 44.000 Geschossmietwohnungen gebaut.
Wir brauchen aber zusätzlich in diesem Sektor jedes Jahr 140.000 Wohn-
einheiten, und zwar 80.000 im geförderten und 60.000 im preiswerten
Segment. Deshalb ist es so wichtig, dass der Staat auch eigenkapital erset-
zende Maßnahmen ergreift. Das wäre für viele unserer Unternehmen die
Investitionszulage, und zwar parallel zur steuerlichen Förderung des Miet-
wohnungsbaus, die der Bund jetzt auf den Weg bringen will.
Axel Gedaschko, Präsident, GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V., Berlin
Wir brauchen eine Wohnortzuweisung
Wir sollten endlich akzeptieren, dass wir längst ein Zuwanderungsland
sind. Das wird ja vielfach immer noch negiert. Und auch wenn ich weiß,
dass es dazu in unserer Branche durchaus unterschiedliche Einschätzungen
gibt, bin ich der Auffassung, dass die Zuwanderung ein Stück weit unser
demografisches Problem löst, weil gerade viele junge Menschen zu uns
kommen. Allerdings verschärft die Flüchtlingssituation viele der Heraus-
forderungen, die wir ohnehin beobachten. In den Schwarmstädten haben
wir Wachstum und damit einen erheblichen Neubaubedarf. Erst in letzter
Zeit ist das in den Köpfen endlich angekommen.
Unsere Hauptstadt lebte z. B. zu lange im Glauben, kaum Wachstum zu
haben und um jeden Preis sparen zu müssen. Erst im letzten Jahr hat
sich diese Einschätzung geändert. Und jetzt werden wir konfrontiert mit
einer regelrechten Explosion: Die prognostizierten Zahlen der nach Ber-
lin kommenden Flüchtlinge und der ande-
ren Zuzügler sind kontinuierlich angehoben
worden, und entsprechend stark sind die
Zahlen gestiegen, wie viele Wohnungen neu
gebaut werden müssen. Zu Beginn dieses
Jahres hat Stadtentwicklungssenator Geisel
dann ein Neun-Punkte-Programm für den
Wohnungsbau vorgelegt, das weitgehend
unseren bisherigen Forderungen entspricht.
Endlich ist das Thema also angekommen –
zumindest in der Politik. Bei der Bevölke-
rung sieht das anders aus. Das „not in my backyard“-Denken ist in Berlin
leider noch immer sehr weit verbreitet.
Maren Kern, Vorstand, BBU Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e. V., Berlin
Wir müssen uns auf unsere Kernaufgabe besinnen
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MARKT UND MANAGEMENT
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