fachliteratur
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wirtschaft + weiterbildung
11/12_2015
Durch die informationstechnologische Vernetzung
ist die Welt zu einem globalen Dorf zusammenge-
wachsen. Und doch bleibt das „global village“ nur
Sinnbild für eine digitale Welt, die nicht von allen
bewohnt wird. Mit den Verweigerern, Aussteigern
und subversiven Elementen dieses virtuellen Raums
beschäftigt sich Joël Luc Cachelin in seinem neuen
Buch „Offliner. Die Gegenkultur der Digitalisie-
rung“. Beginnend mit einer knappen Darstellung
des Systems Internet, in dem virtuelle und analoge
Realitäten zunehmend miteinander verschmelzen,
entwirft der Autor eine Typologie derjenigen Strö-
mungen, die in Opposition zu den vorherrschenden
Technikutopien stehen – eine Klassifikation der Web-
Eremiten. Anders als es der Titel vermuten lässt,
geht es Cachelin jedoch nicht nur um die „Verlie-
rer“ der Digitalisierung, die „Nonliner“, „Romanti-
ker“ und „Kulturpessimisten“, die sich aus jeweils
eigenen Gründen den Entwicklungen verweigern. Im
Gegenteil sind auch jene mitberücksichtigt, die mit
technologischem Knowhow an einem Gegenentwurf
zum ökonomisierten Internet der Großkonzerne ar-
beiten. Die Motivationen und Anliegen dieser sehr
verschiedenen Gruppierungen werden von Cachelin
in Idealtypen übersetzt und in vier Überkategorien
– wirtschaftliche, politische, soziale und technolo-
gische Fraktionen – abgehandelt. Auch wenn der
Autor dabei zuweilen recht rigoros verallgemeinert,
gelingt es ihm dennoch, interessante Fragen aufzu-
werfen: Wie etwa kann das Zusammenleben in einer
sich zunehmend fragmentierenden Kommunikati-
onsgemeinschaft noch funktionieren? Wie werden
Ressourcen künftig verteilt werden, Wertschöpfungs-
prozesse gestaltet und Arbeitsabläufe organisiert?
Werden zwei getrennte Lebenswelten entstehen und
voneinander isoliert koexistieren oder werden sie
womöglich miteinander in Konflikt geraten? Entspre-
chenden Szenarien spürt Cachelin mit kritischem
Geist und solider Argumentation nach. Obwohl dabei
nicht jede Schlussfolgerung überzeugt, ist es schon
der distanznehmende Blick auf die Digitalisierung,
der das Buch lesenswert macht: So liegt das zentrale
Verdienst des schmalen Bands insgesamt weniger in
der Formulierung belastbarer Prognosen als vielmehr
darin, fruchtbare Denkanstöße zu liefern und den
Leser zum Nachdenken über die Zukunft der Infor-
mationsgesellschaft einzuladen – ein Ansatz.
Analog zur Digitalisierung
MENSCH UND TECHNIK
Joël Luc Cachelin
Offliner. Die Gegenkultur der Digitalisierung,
Stämpfli Verlag, Bern 2015,
137 Seiten, 29,80 Euro
Dr. Joël Luc Cachelin
ist Geschäftsführer des Thinktank
„Wissensfabrik“. Der Schweizer
Ökonom promovierte 2006 zum
Thema „Management im Zeitalter
der Multioptionsgesellschaft“ und berät seit 2014 unter
anderem den Telekommunikationsanbieter Swisscom als
Mitglied im Digitalisierungs-Beirat des Unternehmens.
AUTOR
Foto: Stämpfli Verlag