personalmagazin 1/2016 - page 64

personalmagazin 01/16
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SPEZIAL
_ENTGELT
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E
s ist nicht die Lohnverteuerung,
die Praktikern das Leben unter
demMindestlohngesetz schwer
gemacht hat, vielmehr sind es
die bürokratischen Anforderungen, ge-
paart mit juristischen Ungenauigkeiten.
Diese Unzulänglichkeiten auszubessern,
bei anderen Gesetzen Gang und Gäbe,
scheint beim Mindestlohngesetz ein Ta-
bu zu sein.
Kritik 1: Die Aufzeichnungsbürokratie
Wer zu den sogenannten „aufzeich-
nungspflichtigen Branchen“, nach § 2a
Schwarzarbeitsgesetz, gehört, muss die
tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden
aller Mitarbeiter exakt dokumentieren.
Dass diese Anforderung für Mitarbei-
ter, deren vereinbarter Lohn weit über
die Grenze des Mindestlohns hinaus-
geht, reichlich überzogen ist, sah auch
Arbeitsministerin Andrea Nahles ein.
Eine Gesetzesänderung wollte sie den-
noch nicht initiieren. Stattdessen ließ
sie zunächst per Rechtsverordnung die
Dokumentationspflicht entfallen, wenn
das Entgelt einen Bruttolohn von 2.958
Euro überschritt. Die Begründung: Erst
ab dieser Summe könne man davon aus-
gehen, dass auch nach Ausschöpfung
der Grenzen des Arbeitszeitgesetzes mit
einem Unterschreiten der magischen
8,50 Euro pro Arbeitsstunde nicht zu
rechnen sei. Umgekehrt hieß das: Bei
„nur“ 2.957 Euro Verdienst musste
durchgehend dokumentiert werden.
Als die Ministerin angesichts die-
ses Beispiels einräumen musste, dass
Von
Thomas Muschiol
Das Gesetz bleibt unangetastet
RÜCKBLICK.
Ein Jahr nach Inkrafttreten ist das Mindestlohngesetz unverändert. Die
Ministerin räumt Ungenauigkeiten ein, behebt diese jedoch nicht im Gesetz selbst.
sie es mit der Bürokratie immer noch
übertrieben hatte, ergriff sie die Flucht
nach vorne. Überraschend entband sie
die Unternehmen bereits bei Löhnen
ab 2.000 Euro von der Aufzeichnungs-
pflicht. Allerdings mit einer wesent-
lichen Einschränkung: Die großzügige
Befreiung setzt eine Art Probezeit vo-
raus. Nachgewiesen werden muss, dass
die 2.000 Euro mindestens zwölf Monate
tatsächlich gezahlt wurden. Bei Neuein-
stellungen beginnt die Befreiung daher
erst im zweiten Beschäftigungsjahr.
In laufenden Arbeitsverhältnissen ge-
nügt ein einmaliges Unterschreiten der
2.000-Euro-Grenze: Dann entfällt die Be-
freiung von der Dokumentationspflicht
und lebt erst wieder auf, wenn nachge-
wiesen wird, das die Probezeit von zwölf
Monaten erneut erfüllt wurde.
Kritik 2: Das ungeklärte Ehrenamt
Eine ehrenamtliche Tätigkeit unterliegt
nicht den Mindestlohnvorschriften. Die-
se Aussage hat sich in der Praxis als
Worthülse herausgestellt, da sich das
Mindestlohngesetz zur Frage, was denn
ein Ehrenamt ist, ausschweigt. Entspre-
chend groß waren die Hilferufe aus der
Praxis, man möge dieses Problem doch
Sich mit einem Rechtsmittel gegen Behauptungen von Zollbeamten zu wehren, er-
scheint schwieriger als gedacht. Zumal Arbeitsrichter dann nichts zu sagen haben.
Die Kompetenzen der Zollbeamten hinsichtlich einer Mindestlohnüberprüfung ha-
ben eine Lücke im Rechtsschutz gegen Verwaltungshandeln offenbart. Während nach
dem Besuch eines Prüfers der Sozialversicherung oder eines Lohnsteuerprüfers deren
Feststellungen in einen „Prüfbescheid“ münden, der als sogenannter rechtsmittel-
fähiger Verwaltungsakt überprüft werden kann, kann gegen die Behauptung eines
Zollbeamten, dass ein Mindestlohnverstoß vorliegt, kein Rechtsmittel eingelegt werden.
Die Zollprüfer sind reine Ermittlungsbeamte, die Unternehmen hören erst wieder von
ihnen, wenn ein Bußgeldbescheid ins Haus flattert oder ein Strafverfahren eingeleitet
wird. Erst dann können sie sich vor den Amtsgerichten wehren und versuchen, dort mit
arbeitsrechtlichen Argumenten einer Bestrafung zu entgehen. Eine rechtsfortbildende
Auseinandersetzung mit den arbeitsrechtlichen Feinheiten einer Mindestlohnbeurtei-
lung wird man bei Bußgeld- oder Strafverfahren aber kaum erwarten dürfen. Bei den
Arbeitsgerichten, wo die Streitigkeiten über den Mindestlohn in der Sache jedoch richti-
gerweise entschieden werden sollten, kommt die Angelegenheit dagegen nur dann an,
wenn ein Arbeitnehmer des Unternehmers den Mindestlohn einklagt.
Der Rechtsschutz nach dem Zollbesuch
RECHTSWEG
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