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06/16 personalmagazin
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kreative Leistungen und aktives Enga-
gement nicht im genetischen Code der
„Entrepreneure“, also der erfolgreichen
Macher, eingeschrieben sind, kann HR
aus jedem Mitarbeiter einen Unterneh-
mer im Unternehmen machen. Die Stu-
die nennt hierzu bekannte Maßnahmen:
Erfolgserlebnisse vermitteln („Quick
Wins“ und wiederholtes positiv-wert-
schätzendes Feedback) sowie Selbst-
bestimmung bei Projekten und Zielen
ermöglichen.
Ein konkretes Beispiel hierfür ist die
15-Prozent-Regel des Technologiekon-
zerns 3 M: 15 Prozent der Arbeitszeit dür-
fenMitarbeiter in selbst gewählte Projekte
stecken und sich so für neue Vorhaben
„begeistern“ (bei Google wurde dies sogar
zur 20-Prozent-Regel). Bei aller Begeiste-
rung ist allerdings Vorsicht geboten, denn
Studien bestätigen immer wieder: Die al-
lermeisten Projekte verlaufen im Sande
und die wenigsten Unternehmer heißen
Zuckerberg, Page oder Gates. Wir kennen
ihren Namen nicht, weil sie frühzeitig
gescheitert sind oder wegen fehlender
Leidenschaft aufgegeben haben. Und
auch solche Mitarbeiter wie Art Fry und
Spencer Silver, die bei 3 M die gefeierten
Post-its erfunden haben, gibt es weder wie
Sand am Meer, noch können sie ständig
auf der Innovations- und Erfolgswelle
schwimmen. Deshalb sollte sich HR um
diese Kreativ-Schätze im Unternehmen
kümmern und etwa dafür sorgen, dass
deren unternehmerische Anlagen nicht
durch „Energiediebe“ verschüttet werden.
Aus Praxissicht weitergedacht
Der Faktor Selbstbestimmung wird in
der Studie als zentral präsentiert. In
der Praxis ist die Entscheidungsfrei-
heit aber nur zu einem gewissen Grad
erreichbar. Ein Beispiel: Um aus der
Zielvereinbarung eine beidseitige Ab-
machung und keine Top-down-Maßgabe
zu machen, müssen Führungskräfte
sich selbst zurücknehmen und die Mit-
arbeiter sollten wissen, was sie für das
Unternehmen erreichen möchten. Ein
weiteres Beispiel: Sich selber Projekte
auszusuchen, ist mittlerweile selbst bei
den viel zitierten Vorzeigeunterneh-
men wie Google nicht mehr ohne Wei-
teres möglich: zu viele Fehlschläge, zu
viel Sinnloses. Also gibt es auch dort
immer öfter Businesspläne, Budgetrun-
den und Genehmigungsverfahren, die
bestanden werden müssen. So steht
man in der Praxis vor einem Dilemma:
Selbstbestimmung im Rahmen von or-
ganisationaler Fremdbestimmung. Oder
wie es Nietzsche formuliert: In Ketten
tanzen. Erfolgreich ist das Tanzen nach
Nietzsche, wenn sich die Tänzer zuerst
Zwänge auferlegen lassen, um sie dann
anmutig und mit vorgetäuschter Leich-
tigkeit zu besiegen, sodass Zwang und
Sieg bemerkt und bewundert werden.
Das gilt auch für heutige Unternehmer,
die ein Tänzchen wagen: sich anstren-
gen, die Anstrengung aber leicht aus-
sehen lassen – trotz organisationalem
Ordnungs- und Steuerungswahn. Viel-
leicht lockern die Forderungen nach
den demokratisch-partizipativen Unter-
nehmen die Ketten ja ein wenig.
MARTIN CLASSEN
führt seit
2010 sein Beratungsunter-
nehmen People Consulting.
PROF. DR. CHRISTIAN
GÄRTNER
ist Inhaber der
Professur für BWL an der
Quadriga Hochschule Berlin.
Business-Projekt. Dieser Befund stellt
die weit verbreitete Meinung infrage,
Unternehmertum folge aus einer schon
vorhandenen Leidenschaft für unter-
nehmerisches Denken und Handeln.
Darauf aufbauend, belegt eine zweite
Studie, dass regelmäßige Erfolgserleb-
nisse sowie Selbstbestimmung einen
motivierenden Einfluss bei der Reali-
sierung einer Geschäftsidee haben: Wer
positives Feedback erhält, berichtet von
gestiegener Leidenschaft. Bei negativem
Feedback hält sich hingegen die Be-
geisterung in Grenzen. Wenig Überra-
schendes zeigte sich zudem beim Faktor
Entscheidungsfreiheit: Wer seine eigene
Idee verfolgen konnte, zeigte sich deut-
lich begeisterter als Vergleichspersonen,
denen eine Geschäftsidee vorgegeben
wurde.
Für wen oder was das Ganze gilt
Vor allem für Unternehmer. Da heutzu-
tage aber fast jeder ein eigenes „Projekt“
verfolgt, weitet sich der Adressatenkreis
auf fast jede Führungskraft und viele
Mitarbeiter aus. Inwieweit nationale oder
organisationale Kulturunterschiede eine
Rolle spielen, bleibt allerdings offen.
Der wichtigste und der nach
denklichste Satz
Der wichtigste Satz lautet: „Die Ergeb-
nisse zeigen, dass unternehmerische
Anstrengung nicht nur eine Folge von
unternehmerischer Leidenschaft ist
(wie oftmals angenommen), sondern die
Ursache-Wirkungs-Beziehung auch an-
dersherum geht“.
Der nachdenklichste Satz lautet: „Un-
sere Ergebnisse legen nahe, dass der
Grad an unternehmerischer Leiden-
schaft im Zeitverlauf stark variiert, mit-
hin kurzfristig im Wochentakt“.
Konsequenzen fürs HR-Management
Unternehmerische Leidenschaft ist kein
starres Persönlichkeitsmerkmal, son-
dern abhängig vom investierten Auf-
wand – und „Passion“ kann sich über
die Zeit erheblich verändern. Wenn also
Zu oft hakt es noch am Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis. Darum
stellen der Berater Martin Claßen und der Wissenschaftler Christian Gärtner im Personal-
magazin die Kernergebnisse internationaler Studien vor und ziehen Schlussfolgerungen
für das deutsche HR-Management. In diesem Serienteil geht es um die Studie „I put in
effort, therefore I am passionate: Investigating the path from effort to passion in entre-
preneurship“, die im „Academy of Management Journal“ erschienen ist.
(bej)
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