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as ist der Maurer von der Stalin-Allee, Held der Arbeit
seit heute“, heißt es in „Germania Tod in Berlin“. Der wohl
größte Dramatiker des 20. Jahrhunderts, Heiner Müller,
zeigt in seinem Meisterwerk Absurditäten des Sozialismus.
Von der Stalin-Allee ging der Volksaufstand des 17. Juni 1953
aus. Arbeiter zogen mit Werkzeug und Steinen zum Haus der
Ministerien. Der DDR-Bürger Müller ließ im Stück DDR-Prä-
sident Wilhelm Pieck sagen: „Die Steine, die sie heute auf uns
schmeißen, Genosse, passen morgen in die Wand.“ Die SED
verfügte gegen Müller für seine feinsinnigen Darstellungen der
Realität Aufführungsverbote in der DDR.
Die Realität verfügte für den real existierenden Sozialismus
den Untergang. Die Stalin-Allee heißt heute Karl-Marx-Allee,
die SED Die Linke und der real existierende Sozialismus
Gerechtigkeitspolitik. Die 1949 in Ost-Berlin verabschiedete
Verfassung der DDR legte klar fest: „Der Mißbrauch des
Eigentums durch Begründung wirtschaftlicher Machtstellung
zum Schaden des Gemeinwohls hat die entschädigungslose
Enteignung und Überführung in das Eigentum des Volkes zur
Folge.“ Dieses Prinzip ist seit dem 3. Oktober 1990 nicht mehr
durchsetzbar, deshalb pocht wohl niemand mehr auf „entschä-
digungslos“. Doch der Rest lebt: Auf dem letzten Landespartei-
tag der Linken gab es gleich drei Unterstützungsanträge für die
Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“. Diese schafft
Reitzenstein denkt an ...
mit feiner Ironie – Bezug auf das Grundgesetz – rechtliches
Neuland mit schlüssig wirkender Verstaatlichungsabsicht.
Einer der Auslöser war der Verkauf des von Architekten-Ikone
Hermann Henselmann entworfenen und unlängst sanierten
Blocks C Süd der Karl-Marx-Allee an die Deutsche Wohnen
SE. Die Deutsche Wohnen mit über 100.000 Wohnungen im
Berliner Portfolio hat, nun ja, nicht den besten Ruf in der Stadt.
Aber in einer Rechtsordnung, in der auch Mörder, Irre und
Ladendiebe gleiche Rechte wie unbescholtene Bürger genießen,
kann das kein Maßstab für das Handeln der Berliner Regie-
renden sein: Diese verlocken Mieter, von ihrem Vorkaufsrecht
Gebrauch zu machen.
Da die wenigsten Mieter eine Finanzierung zu marktüblichen
Preisen erhalten dürften, wurde ein trickreicher Umge-
hungstatbestand kreiert: Die Mieter kaufen die Wohnung mit
einem Kredit der landeseigenen Bank IBB und verkaufen direkt
danach an eine landeseigene Wohnungsgesellschaft. So wählt
sich der Mieter mit Unterstützung der Politik einen neuen
Vermieter. Das ist mit Blick in die Geschichte der Regierungs-
realität in Berlin nur konsequent. Schon Bertolt Brecht notierte
nach dem Aufstand des 17. Juni 1953, dass Exponenten der Re-
gierung mitteilten, dass das Volk das Vertrauen der Regierung
verloren habe, und fragte: „Wäre es da nicht doch einfacher, die
Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“
... Stalin-Allee,
Sozialismus und
Müller
Quelle: one line man/shutterstock.com