DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 5/2016 - page 59

Karl Heinz Range
Dr. Peter Schaffner:
Wir sind uns ja alle einig,
dass wir eine Riesenherausforderung vor uns
haben, auch in finanzieller Hinsicht. Wenn wir
200.000 Wohnungen bauen und mit 3.000 bis
3.500 €/pro m2 rechnen, so landen wir bei Ge-
samtkosten von 35 bis 40 Mrd. €. Vielleicht ist
es an der Zeit, deutlich zu sagen, dass uns allein
die Griechenland-Rettungmehr gekostet hat. Wo
ist also das Problem? Wir haben im vergangenen
Jahr einen Haushaltsüberschuss von 12 Mrd. €
erzielt. Müssen wir da nicht etwas mutiger den-
ken und fordern, dass der Bund die benötigten
30 Mrd. € in die Hand nimmt? Natürlich ist mir
klar, dass die Verhandlungen darüber mit Herrn
Schäuble sehr schwierig werden. Trotzdem muss
man diesen Gedanken einmal in die Presse tra-
gen. Und die gesamteWohnungswirtschaft ist mit
Sicherheit in der Lage, in zwei oder drei Jahren
diese 200.000 Wohnungen zu bauen, sofern die
Grundstücke dafür vorhanden sind. Ja, der Betrag
ist gewaltig, aber nicht so gewaltig, dass er uns
umhauen würde.
Karl Heinz Range:
Aber für uns Unternehmen ist
die Finanzierung schon eine Herausforderung. Ge-
rade bei uns im Raum Hannover, wo wir aberwit-
zige Gestehungskosten im Neubau haben. Unter
3.000 €/m2 Wohnfläche können wir nicht mehr
bauen. Um wirtschaftlich tragfähige Objekte zu
entwickeln, brauchen wir eine zielgenaue Förde-
rung. Deshalb sind wir in einen sehr intensiven
Dialog mit dem Land Niedersachsen eingetreten
mit dem Ziel, das bisherige Darlehensprogramm
durch Zuschüsse zu ergänzen. Wir sind gewillt, für
Menschenmit wenig Geld zu bauen; aber das geht
nur, wennwir neben den Darlehen auch Zuschüsse
bekommen.
Prof. Dr. Herbert Ludl:
Herr Range, Sie haben
in Ihrem Statement ein Konzept der klugen Zwi-
schennutzung vorgestellt, das michwirklich über-
zeugt. Ich halte es für eine vernünftige Lösung,
für einen bestimmten Zeitraum solche Wohnun-
gen Flüchtlingen zur Verfügung zu stellen und
sie anschließend an Ortsansässige zu vermieten.
Das ist übrigens keine neue Idee, wenn ich an das
olympische Dorf denke, das für die Olympischen
Winterspiele 1976 in Innsbruck gebaut wurde. Das
sind heute kleine, einfache Wohnungen, die gern
angenommen werden.
Maren Kern:
Wahrscheinlich werden wir mit die-
sen Zwischenunterkünften länger leben müssen,
als uns das lieb ist, auchwennwir dabei die Gefahr
einer Ghettobildung nicht ganz ausschließen kön-
nen. Umso wichtiger ist es, schneller Wohnungen
zu bauen, damit die Integration beschleunigt wird
und sich kein sozialer Sprengstoff aufbaut.
Prof. Dr. Herbert Ludl:
Dabei sollten wir aber
einfache Gebäude bauen, nicht hoch technisierte
Wohnhäuser, für dieman drei Ingenieure braucht,
um zu wissen, wie das Ding funktioniert. Und wir
sollten wieder große Wohnhausanlagen bauen,
weil es dann billiger ist. Das kann trotzdem gut
aussehen. Der ganze Wiederaufbau nach dem
Kriegwurde dochmit großen Einheiten realisiert.
Ansonstenwäre es gar nicht möglich gewesen, das
benötigte Volumen zu schaffen.
Axel Gedaschko:
Hilfreich wäre ein gesetzli-
cher Vorrang nicht nur für den Flüchtlingsbau,
sondern für den gesamten Wohnungsbau für ei-
nen Zeitraum von fünf Jahren. Und wir müssen
die Ergebnisse des Bündnisses für bezahlbares
Wohnen und Bauen möglichst schnell umsetzen.
BeimBund erkennenwir eine erhöhte Bereitschaft
dazu, aber leider nicht bei den Bundesländern.
Ich denke z. B. an die Anpassung der Musterbau-
ordnung, die notwendig ist, um dem günstigen
Bauen in Typenbauweise näherzukommen. Denn
wenn wir uns fragen, wie wir schneller und güns-
tiger bauen können, müssen wir uns mit Fragen
der Typenbauweise und des seriellen Bauens aus-
einandersetzen.
Maren Kern:
Wir brauchen, da hat Herr Ludl völ-
lig Recht, einen Bewusstseinswandel. Wir müssen
uns von den alten Strukturen lösen und neu den-
ken. Wir sind bei wunderbar gestalteten, großen,
hoch technisierten Wohnungen angelangt. Jetzt
brauchen wir ein Umdenken. Wir müssen die
Wohnungen kleiner machen und den Standard
reduzieren. Und warum setzen wir da nicht beim
Standard der zwanziger Jahre des letzten Jahrhun-
derts an? Damals entstanden innerhalb kurzer Zeit
Hunderttausende von Wohnungen, und darunter
waren herausragende Siedlungen, die heute auf
der UNESCO-Welterbeliste stehen.
Jürgen Steinert:
Ich teile die Auffassung, dass
wir bei den Standards neu denkenmüssen. So neu
ist das gar nicht. In den 1970er Jahren betrug die
durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf 23,5 m2.
Jetzt sind es weit über 40m2. Wennwir denWohn-
flächenkonsum verringern, wohnen wir deshalb
noch lange nicht unwürdig.
Axel Gedaschko:
Allein mit Nachverdichtung
und Aufstockung werden wir aber die Aufgabe
des massiv gesteigerten Neubaus nicht bewäl-
tigen können. Wir müssen ganz klar sagen, dass
wir auch neue Stadtquartiere bauen müssen. Und
wenn wir uns fragen, welche Stadtquartiere aus
der Vergangenheit heute noch gut angenommen
werden, dann gibt es zwei Antworten: das Grün-
derzeitmodell und die Gartenstadt. Ich finde es
deshalb hervorragend, dass der Berliner Senat am
Modell einer Gartenstadt des 21. Jahrhunderts
Dr. Peter Schaffner
Lars Ernst
„Ohne Zwischenlösungen mit der Errichtung von Gebäuden, die nur vorüber-
gehend der Wohnnutzung dienen, wird es dabei nicht gehen. Auch dieser
Wohnraum darf nicht nur Flüchtlingen zur Verfügung gestellt werden.“
Lukas Siebenkotten
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