Bundeskanzlerin Angela Merkel hat etwas sehr Richtiges getan und gesagt:
Lasst die Flüchtlinge kommen. Dank dieser wundervollen Formel „Wir
schaffen das“ hat sich das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland in
der Welt deutlich verbessert. Doch ich bin aktuell in großer Sorge um die
politische Kultur in Deutschland. Denn die Kommunikation der etablierten
Parteien, wie wir diese Herausforderung bewältigen sollen, ist unglaub-
lich unprofessionell und führt zu einem Erstarken von Gruppierungen
am rechten Rand des politischen Spektrums. Meine Sorge ist, dass wir in
Deutschland einen Rechtsruck bekommen. Dabei bin ich wie die Kanzlerin
überzeugt, dass es uns gelingen kann, die vielen Menschen zu integrieren,
die jetzt nach Deutschland kommen, weil sie kein Zuhause mehr haben, das
ihnen Auskommen und Sicherheit bietet.
Außerdem bin ich überzeugt, dass Wohnungsneubau für alle ein ganz wich-
tiges Thema ist. Allerdings hat sich diese Erkenntnis noch nicht überall
In unserem Verbandsgebiet haben wir die besondere Situation, dass Berlin
stark wächst, während sich Teile des Landes Brandenburg weiter entvöl-
kern. Deshalb fordern manche Experten, die Flüchtlinge könnten doch in
die in vielen Orten leer stehenden Objekte ziehen. Das aber ist eine Milch-
mädchenrechnung. Denn zum einen sind viele der Gebäude, die leer ste-
hen, zum Abriss vorgesehen und deshalb in einem so schlechten baulichen
Zustand, dass man sie mit vernünftigem Aufwand nicht wieder herrichten
kann. Zum anderen fehlen Arbeitsplätze. Da, wo es seit vielen Jahren keine
Arbeitsplätze mehr gibt, werden sie auch in Zukunft kaum entstehen.
Ich bin überzeugt, dass wir als Branche viel leisten können. Dabei müssen
wir uns aber auf unsere Kernaufgabe besinnen. Und die besteht nicht in der
Erstunterbringung, sondern in der dauerhaften Unterbringung von bleibe-
berechtigten Flüchtlingen.
Dabei kommt uns eine Schlüsselrolle bei der Integration zu. Ich denke z. B.
an Patenschaften, mit denen sich Mieter in den Wohnungsbeständen um
neu zugezogene Flüchtlinge kümmern. Wie viel die Wohnungswirtschaft
in dieser Beziehung leisten kann, hat sie in sozialen Brennpunkten bisher
schon vielfach bewiesen.
Zur Integration gehört die Akzeptanz. Deshalb müssen wir uns in den
nächsten Jahren verstärkt um die Menschen in der Nähe von Wohnblöcken
kümmern, in denen Migranten und Flüchtlinge untergebracht sind. Diese
Menschen müssen wir einbinden und ihnen ein Stück weit die Angst neh-
men, damit sie lernen, die Situation zu akzeptieren.
Als ich mir die Frage gestellt habe, welche Instrumente es gibt, um die-
ses Mitnehmen zu organisieren, bin ich auf das „Civic Crowdfunding“
gestoßen. Das ist eine Weiterentwicklung des bekannten Themas Crowd-
funding, bei dem zahlreiche Investoren ein Projekt mit kleinen Beträgen
unterstützen. „Civic Crowdfunding“ kommt bei Projekten zum Einsatz,
für welche die eigentlich erforderlichen öffentlichen Mittel fehlen und bei
denen gleichzeitig eine hohe Akzeptanz für die Entwicklungsmaßnahme im
städtischen Raum erreicht werden soll. Das kann z. B. das Anlegen eines
Parks oder eines Gartens sein, das können aber auch Bildungs- oder Erzie-
hungsprojekte sein. In New York etwa will eine solche Crowd am Hudson
ein öffentliches Schwimmbad realisieren und in Rotterdamwurde auf diese
Art und Weise eine Fußgängerbrücke finanziert.
Was bedeutet das gesellschaftlich? Ich habe den Eindruck, dass dieses
„Civic Crowdfunding“ die Partizipation der Mitmenschen an ihrem öffent-
lichen Umfeld fördert. Auf diese Weise können wir ein Stück weit eine
Kultur der Mitverantwortung in der Stadt und in der Gesellschaft schaffen
und damit die Integrationsfähigkeit der Städte erhöhen. Es ist aus meiner
Sicht zwingend erforderlich, die Bürger stärker einzubinden, um die Her-
ausforderung durch die Flüchtlingsproblematik bewältigen zu können. Das
Besondere an diesem Ansatz ist, dass die Mitbürger eben nicht nur mit-
reden oder wie das Amtsdeutsch so schön
sagt, Gehör finden, sondern auch mitma-
chen, indem sie mitfinanzieren und so Ver-
antwortung übernehmen.
Dabei geht es nicht darum, dass der Einzelne
eine vier- oder gar fünfstellige Summe zur
Verfügung stellt. Vielmehr investieren mög-
lichst viele Menschen kleine Beträge, viel-
leicht 20 oder 30 €. Damit unterstützen sie
ein Projekt, das sie persönlich betrifft und
das sie mitgestalten können. Am besten
lässt sich das über regionale Crowdfunding-Plattformen organisieren. So
etwas gibt es auch schon in Deutschland, in Berlin zum Beispiel oder in
Hamburg, aber auch in Universitätsstädten wie Paderborn.
In Deutschland gibt es bereits ein besonders interessantes „Civic-
Crowdfunding“-Projekt, nämlich die Kiron University, eine Online-Uni-
versität für Flüchtlinge. Sie bietet fünf Bachelor-Studiengänge mit sog.
OpenSource-Vorlesungen an, die große Universitäten ins Netz stellen. Wer
daran teilnehmen will, muss noch nicht einmal einen geklärten Aufent-
haltsstatus haben. Die Studierenden bekommen ein kleines Stipendium,
das über eine überregionale Crowdfunding-Plattform finanziert wird. In
kürzester Zeit wurde hier über eine halbe Mio. € eingesammelt.
Das zeigt, welches Potenzial das „Civic Crowdfunding“ bieten kann, um die
Menschen in einer schwierigen gesellschaftlichen Entwicklung mitzuneh-
men und Bürgerbeteiligung zu leben.
Dr. Peter Schaffner, Leiter Geschäftsbereich Wohnungswirtschaft, Aareal Bank AG, Wiesbaden
Potenzial des „Civic Crowdfunding“ nutzen
Karl Heinz Range, Geschäftsführer, KSG Hannover GmbH, Laatzen
Ich bin überzeugt, dass wir es schaffen können
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5|2016