PM_spezial_Trends_im_Recruiting_06_2017 - page 58

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SPEZIAL RECRUITING
_ARBEITGEBERATTRAKTIVITÄT
spezial Recruiting 06/17
Zusätzlich muss der Stress am Arbeits-
platz adressiert werden.
Zwei Beispiele:
EVP in der Unternehmenspraxis
Wie das Ganze konkret aussehen kann,
zeigt folgendes Beispiel. Ein Unterneh-
men aus der Finanzdienstleistungs-
branche beschreibt seine EVP so: „Als
Unternehmen bieten wir: Mittel und
Unterstützung für jeden Einzelnen, um
Kunden ein gutes Beratungserlebnis zu
ermöglichen. Wettbewerbsfähige Vergü-
tungspakete, die an Leistung gebunden
sind. Ein stimulierendes Umfeld zum
Genießen.“ Die Mitarbeiter dieses Un-
ternehmens versprechen im Gegenzug
dafür Folgendes: Sie werden 100 Pro-
zent Anstrengung geben, passioniert,
energiegeladen und verlässlich sein.
Beiträge zur eigenen Entwicklung ihrer
Fähigkeiten, ihres kollektiven Wissens
und ihrer Erfahrung leisten und diese
Entwicklung aktiv antreiben. Sie wer-
den sich selbst und andere motivieren
sowie Ergebnisse und persönliche Com-
mitments abliefern.
Ein anderes, eindrückliches Beispiel
für eine EVP ist die des Tech-Riesen
Apple. Das Unternehmen beschreibt das
Arbeitsumfeld folgendermaßen: „Ein Job
bei Apple ist wie kein anderer. Du wirst
großen Herausforderungen gegenüber-
stehen. Du wirst inspiriert sein. Jeder bei
uns wird Dir bestätigen, dass es harte
Arbeit ist. Du wirst stolz sein.“
Was vorbildliche EVP-Unternehmen
besser machen
Um eine tiefere Beziehung zur Beleg-
schaft herzustellen und die Karriere­
erfahrung der Mitarbeiter anzureichern,
artikulieren vorbildliche EVP-Unterneh-
men ihre EVP formal. Weiterhin stim-
men sie ihre EVP klar darauf ab, wofür
das Unternehmen im Markt steht und
worin es sich deutlich vom direkten
Wettbewerb um Talente abhebt. Diese
Unternehmen kennen ihre Mitarbeiter
und Kandidaten genauso gut wie ihre
externen Kunden. Sie passen zudem die
EVP für Mitarbeiter mit kritischen Fä-
higkeiten an.
Daneben gilt es zu bedenken: Auch
wenn sich die Arbeitswelt verändert,
fokussieren Arbeitnehmer sich weiter-
hin auf Grundlegendes, wenn sie ent-
scheiden, ob sie sich einer Organisation
anschließen oder diese verlassen. Es
gibt Hygienefaktoren, die einfach stim-
men müssen. Arbeitnehmer suchen
Arbeitgeber, die eine faire und wettbe-
werbsfähige Grundvergütung anbieten,
Möglichkeiten der Weiterentwicklung
und Arbeitssicherheit gewährleisten.
Wo Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-
perspektive auseinandergehen
Die Arbeitgeber haben diese Prioritäten
grundsätzlich verstanden. In einigen
wenigen Schlüsselbereichen hat unsere
Erfahrung aber gezeigt, dass Arbeitge-
ber und Arbeitnehmer unterschiedliche
Blickwinkel einnehmen: Beim Gewin-
nen von Mitarbeitern wissen Arbeitge-
ber um die Wichtigkeit der Grundvergü-
tung sowie um den hohen Stellenwert
der Entwicklungsmöglichkeiten und
der herausfordernden Tätigkeit. Sie
überschätzen aber die Wichtigkeit der
Mission und Werte und räumen dem
Thema „Arbeitsplatzsicherheit“ nicht
genügend Bedeutung ein. Vieles bringt
die Rewards-Experten und die Program-
me, die sie entwickeln, an einen Wen-
depunkt. Denn zahlreiche etablierte
Methoden, Werkzeuge und Annahmen
greifen heute nicht mehr.
Zunächst ist hier die Transparenz-
bewegung zu nennen, die in einer EVP
beachtet werden sollte. Sie führt dazu,
dass Mitarbeiter zunehmend ihre eige-
nenMarktvergleiche vornehmen und die
angebotenen Arbeitsbedingungen in so-
zialen Netzwerken veröffentlichen. Un-
ternehmen müssen das Reward-Design
anreichern. Eine natürliche Konsequenz
von zunehmender Transparenz ist das
Problem der Klarheit darüber, was „Pay
for Performance“ wirklich bedeutet. Die
Schlagzeilen über Performance-Manage-
mentprozesse werfen Fragen auf: Für
welche Leistung wollen wir bezahlen?
Alte Formeln passen also nicht mehr, al-
le Elemente gehören daher auf den Prüf-
stand – inklusive des Gehalts.
Der rote Faden durch all diese Themen
bildet die EVP. Die Organisationen müs-
sen die richtige Balance und Auswahl
treffen, wenn es um Segmentierung und
Individualisierung geht. Unternehmen
bieten ihren Mitarbeitern in der Regel
eine Menge und sie erwarten dafür auch
viel. Wer diesen Deal, also die EVP, rich-
tig gestaltet und attraktiv kommuniziert,
profitiert von einer starken Mannschaft
und besseren Geschäftsergebnissen.
EVP in deutschen Unternehmen:
noch viel Luft nach oben
Wir haben in zwei sich ergänzenden
Studien, der „Global Workforce Study“
und der „Global Talent Management &
Rewards Study“, festgestellt, dass Un-
ternehmen, die eine klar definierte und
gut kommunizierte EVP haben, erfolg-
reicher sind als der Wettbewerb (mehr
zu den Ergebnissen der beiden Studien
lesen Sie auf Seite 59): Denn ihre Mit-
arbeiter sind engagierter und wechseln
deutlich weniger. Unternehmen, die
eine vorbildliche EVP haben, erzielen
bessere wirtschaftliche Ergebnisse als
Unternehmen, die hier nicht gut aufge-
stellt sind.
Die EVP ist also eine wertvolle Chance.
Leider bleibt sie bislang oft ungenutzt.
Denn um den Reifegrad der EVP steht
es vor allem in deutschen Unternehmen
schlecht, wie die Studienergebnisse wei-
ter zeigen: So kann etwa nur ein Viertel
der Unternehmensvertreter in Deutsch-
land von einer formal artikulierten EVP
berichten. Diese Zahlen sind bedenklich,
insbesondere vor demHintergrund, dass
viele Unternehmen bereits heute in ihre
EVP investieren.
HOLGER JAHN
ist Bereichs­
leiter Rewards und Executive
Compensation bei Willis
Towers Watson.
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