Personalmagazin 8/2018 - page 92

Eigentlich hatten Arbeitgeber und Betriebsrat hehre Ziele mit der
neuen Arbeitszeitregelung. Doch dann geriet sozusagen das erste
Date direkt zur Verhandlung über einen Ehevertrag. Die Grund-
lagen für eine harmonische Partnerschaft blieben ungeklärt.
Vor 16 Monaten hatte sich der Betriebsrat eines Filialunter-
nehmens mit der Filialleiterin erstmals zusammengesetzt, um
über die neuen Grundsätze der Personaleinsatzplanung zu spre-
chen. Eigentlich wollten beide Parteien lediglich – hinsichtlich
der Arbeitszeiten – die persönlichen Belange der Mitarbeiter
stärker berücksichtigen: Wer arbeitet morgens? Wer abends?
Wie sind die Interessen der Mitarbeiter mit der Zielsetzung des
Arbeitgebers, die Fläche entsprechend
der Umsatzprognosen und Produktivität
effizient zu besetzen, zu vereinbaren?
Doch es ging einiges schief bei diesem
ersten Date. Das vorsichtige Kennenler-
nen, die Entdeckung von Gemeinsam-
keiten und weitere, für eine harmonische
Partnerschaft wichtige Erfahrungen lie-
ßen die beiden Parteien aus. Stattdessen
entwickelte sich das Treffen, um im Bild
zu bleiben, schnell zu einer Verhand-
lungsrunde über Weiterführendes: Hoch-
zeit, Ehevertrag, Scheidung – inklusive
Besuchszeiten der Kinder. Ein Streit war
vorprogrammiert.
Dabei wollte der Betriebsrat doch le-
diglich eine solide Grundlage fürs erste
Treffen. Das Gremium entschied sich
dazu, die Arbeitszeitregelungen von ei-
nem Rechtsanwalt vorformulieren zu lassen. Dieser trug, weil
er die individuellen Bedürfnissen der Filialmitarbeiter und des
Arbeitgebers nicht kannte, lediglich allgemeine Annahmen zum
Personaleinsatz zusammen. Besonderheiten konnte er schlicht-
weg nicht berücksichtigen – weder war er mit diesen vertraut,
noch wurden sie ihm gegenüber ausreichend kommuniziert.
So kam es, wie es kommen musste: Der vorgefertigte „Ehever-
trag“ war gespickt mit juristischen Fachbegriffen und Verallge-
meinerungen. Bereits beim ersten Date stand die vorab erstellte
Vereinbarung im Raum, sodass sich die Filialleiterin sofort in der
Situation sah, zäh verhandeln zu müssen. Betriebsrat und Arbeit-
geber diskutierten in der Folge zwar über einzelne Regelungen,
allerdings ging es dabei weniger um inhaltliche Lösungen, son-
dern allzu oft um rechtliche Spitzfindigkeiten.
Auch die weiteren Treffen zwischen Betriebsrat und Arbeit-
geber gestalteten sich schwierig. Das eigentliche Übel, dass die
vorformulierten Regelungen tatsächlich für keine der beteiligten
Parteien relevant waren und die betriebsinternen Besonder-
heiten nicht berücksichtigten, spielte in der Kontroverse keine
Rolle. Beide Parteien verhedderten sich vielmehr im Gerangel
um Begriffe, arbeitsrechtliche Auslegungen, Argumente für ein-
zelne Formulierungen und verharrten in ihren Positionen. Die
Kernfragen blieben unbeantwortet: Wie sehen diese Positionen
inhaltlich aus? Welchen Standpunkt vertritt der Betriebsrat? Was
wünscht sich eigentlich der Arbeitgeber?
An diesem Punkt erkannten Betriebsrat und Arbeitgeber: Der
Ehevertrag vorweg in Form einer standardisierten Vereinba-
rung funktioniert nicht – nicht in ihrer Filiale, nicht bezüglich
der Zielsetzung. Zum Beispiel schien die Vereinbarung „Jeder
Mitarbeiter arbeitet nur jeden zweiten
Samstag“ auf den ersten Blick durchaus
fair. Für die Mitarbeiter der Filiale war
sie jedoch nicht brauchbar. Denn einige
wünschen sich samstags Zeit für die Fa-
milien, andere wiederum haben nur den
Samstag für die Arbeit zur Verfügung.
Bei der Vereinbarung zum Überstun-
denabbau war es zwar Ziel beider Par-
teien, individuelle Mitarbeiterinteressen
zu berücksichtigen. Tatsächlich sah die
Regelung jedoch vor, dass – um beim
Bild der Ehe zu bleiben – alle Hochzeits-
gäste die Feier umMitternacht verlassen
mussten, ob sie wollten oder nicht.
Betriebsrat und Filialleitung brauch-
ten eine individuelle Lösung, zumal die
Vorstellungen ähnlicher waren als ge-
dacht. Beide Parteien hatten aber ver-
säumt, sich auszutauschen und ihre Positionen kennenzulernen.
Stattdessen geriet die erste Annäherung gleich zur Verhandlung
– mit Gewinnern und Verlierern. Nach monatelangem Austausch
blieb somit die Erkenntnis: Natürlich ist eine Vorbereitung aufs
erste Gespräch sinnvoll, ein bereits final formuliertes Ergebnis
war es indes nicht. Es hatte die Chance verbaut, individuelle,
nachhaltige Lösungen für die Filiale zu finden.
Vorformulierte Betriebsvereinbarung:
Startschuss für eine harmonische
Partnerschaft oder Beziehungskiller?
MARCO HOLZAPFEL schreibt in der
Kolumne über die Zusammenarbeit von
Betriebsrat und Arbeitgeber. Der ehema­
lige Personalmanager und Gründer der
Beratung Betriebsdialog ist überzeugt,
dass fast alle Konflikte durch gute Kom­
munikation und Beteiligung zu lösen sind.
Illustration Lea Dohle
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Kolumne Klassenkampf
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