personalmagazin 06/17
RECHT
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URTEILSDIENST
Betriebsübergang: Bezugnahmeklausel bleibt dynamisch
Inwiefern ist der erwerbende Arbeit-
geber nach einem Betriebsübergang
vertraglich an eine dynamische Bezugs-
klausel gebunden? Der Europäische
Gerichtshof (EuGH) hat in dieser Fra-
Betriebserwerber muss bei einem Be-
triebsübergang auch spätere Änderun-
gen des Tarifvertrags, auf den sich die
Klauseln im Arbeitsvertrag beziehen,
gegen sich gelten lassen.
ge etwas überraschend die Rechtspre-
chung des Bundesarbeitsgerichts (BAG)
bestätigt. Das hatte für alle ab 2002 neu
abgeschlossenen Arbeitsverträge mit
dynamischen Klauseln festgelegt: Der
URTEIL DES MONATS
Der EuGH hat seine Rechtsprechung präzisiert, wie bei einem
Betriebsübergang mit dynamischen Bezugnahmeklauseln umzu-
gehen ist. Das BAG hatte dem EuGH die Frage vorgelegt, ob eine
arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel auch nach einem Betriebs-
übergang weiterhin dynamisch wirkt, selbst wenn der Betriebs-
erwerber an diese Tarifverträge gar nicht gebunden ist. Aufgrund
ARBEITSKAMPF
ZUSAMMENFASSUNG
Hatte das Arbeitsgericht Berlin noch im Sinne
des Versandhändlers Amazon entschieden und geurteilt, dass dieser
keine Streikmaßnahmen auf dem Firmengelände dulden muss,
erlaubt das LAG nun Streikmaßnahmen auf dem Firmenparkplatz.
RELEVANZ
Mit einem Arbeitskampf will Verdi gegen Amazon in
Pforzheim die Tarifverträge des Einzel- und Versandhandels in Ba-
den-Württemberg durchsetzen – statt den niedrigeren Vorgaben der
Logistikbranche zu folgen. Dazu wollte die Gewerkschaft auf dem
zum Betriebsgelände gehörenden Parkplatz Streikposten aufstellen,
als einzige Möglichkeit, um einen Streik effektiv zu führen. Das
Arbeitsgericht argumentierte anders: Amazon müsse nicht einen
gegen das Unternehmen gerichteten Arbeitskampf unterstützen.
MASSREGELUNGSVERBOT
ZUSAMMENFASSUNG
Eine Kündigung wegen rechtlich zulässigen
Verhaltens kommt nicht infrage. Davor schützt das sogenannte
Maßregelungsverbot – wenn die Voraussetzungen hierfür vorliegen.
RELEVANZ
Das Maßregelungsverbot schützt Arbeitnehmer, die in
zulässiger Weise ihre Rechte ausüben. Es wird erst verletzt, wenn
zwischen der Rechtsausübung und der Benachteiligung ein unmittel-
barer Zusammenhang besteht. Dazu muss die zulässige Rechtsaus-
übung tragender Grund für die benachteiligende Maßnahme, etwa
eine Kündigung, gewesen sein. Die bloße Mitteilung der Erkrankung
des Kindes und die daraus resultierende Betreuung stelle keine
Rechtsausübung dar, so das LAG. Die Arbeitspflicht entfalle schon
per Gesetz, die Kündigung sei also keine unzulässige Maßregelung.
der „Alemo-Herron“-Entscheidung, war anzunehmen, dass dies im
Widerspruch zu unionsrechtlichen Vorschriften steht. Etwas überra-
schend hat der EuGH entgegengesetzt zu den Schlussanträgen des
Generalanwalts entschieden, dass die Wirkung der dynamischen
Bezugnahmeklausel nicht zeitlich zu beschränken ist. Der Gerichts-
hof betonte in seinem Urteil, dass die Richtlinie 2001/23 und
insbesondere ihr Art. 3 so zu verstehen seien, dass sie grundsätz-
lich vorsehen, dass diese sich aus einem Arbeitsvertrag ergebende
Pflicht auf den Erwerber übergeht. Der erwerbende Arbeitgeber
bleibe im Falle eines Betriebsübergangs folglich auch an die Dyna-
mik der Bezugnahmeklausel gebunden.
Allerdings wies der EuGH darauf hin, dass der Erwerber eines
Unternehmens in der Lage sein müsse, nach dem Übergang, die
für die Fortsetzung seiner Tätigkeit aus wirtschaftlicher Sicht erfor-
derlichen Anpassungen vorzunehmen. Das nationale Recht müsse
daher sowohl einvernehmliche als auch einseitige Anpassungs-
möglichkeiten für den Erwerber vorsehen. Nach deutschem Recht
besteht prinzipiell die Möglichkeit einer Änderungskündigung,
auch wenn das BAG hier sehr hohe Anforderungen an die Voraus-
setzungen stellt. Dem EuGH genügte dies für seine Entscheidung.
Nach dem EuGH bleiben Bezugnahmeklauseln dynamisch.
Quellen
EuGH, Urteil vom 27.4.2017, Az. C-60/15 und C-681/15
Quelle
LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 8.11.2016, Az. 8 Sa 152/16
Quelle
LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.3.2017, Az. 24 Sa 979/16
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