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RECHT
_COMPLIANCE
personalmagazin 06/17
DR. PHILIPP BYERS
ist
Fachanwalt für Arbeitsrecht
und Partner der Kanzlei Lutz
Abel am Standort München.
ein unternehmensinternes Amnestiepro-
gramm den Mitarbeiter nicht vor einer
Strafverfolgung, die durch die Ermitt-
lungsbehörden selbst eingeleitet wird.
Regress: Das Risiko beim Verzicht auf
Schadenersatzansprüche
Mitarbeitern können im Falle eines
Fehlverhaltens Schadenersatzansprü-
che durch den Arbeitgeber drohen. Aus
diesen Gründen wird in Amnestiepro-
grammen oft vereinbart, dass das Unter-
nehmen von der Geltendmachung mög-
licher Schadenersatzansprüche absieht.
Die überwiegende Literaturansicht hält
einen Verzicht auf Regressansprüche
für zulässig. Nachteilig an einem sol-
chen Verzicht ist allerdings, dass die
Einstandspflicht einer hinter dem Mit-
arbeiter stehenden D&O-Versicherung
endet. Zudem kann es vorkommen, dass
der betreffende Mitarbeiter mit weite-
ren Arbeitnehmern dem Unternehmen
für Schäden als Gesamtschuldner nach
§§ 421 ff. BGB haftet.
Sofern gegenüber einem Arbeitneh-
mer ein Regressverzicht erklärt wird,
hat dies regelmäßig eine „beschränkte
Gesamtwirkung“ zur Folge. Dies bedeu-
tet, dass der Arbeitgeber gegen die an-
deren Mitarbeiter Regress nur in Höhe
eines um den Verursachungsbeitrag des
begünstigten Arbeitnehmers gekürzten
Betrags nehmen kann. Auch die D&O-
Versicherungen der nicht begünstigten
Mitarbeiter können dann nur in Höhe
des gekürzten Betrags in Anspruch ge-
nommen werden.
Aufgrund der dargestellten Risiken ist
es empfehlenswert, in einer Amnestie-
vereinbarung keinen ausdrücklichen Re-
gressverzicht aufzunehmen. Vielmehr
sollte der Arbeitgeber dem Mitarbeiter
nur zusichern, dass mögliche Regressan-
sprüche nicht durchgesetzt werden. Ei-
ne solche Regelung lässt die Ansprüche
selbst und damit eine Einstandspflicht
der D&O-Versicherung unberührt. Nach-
teilig für den Mitarbeiter ist dabei, dass
er zwar nicht von dem Unternehmen in
Regress genommen wird, aber eine In-
anspruchnahme im Wege des Gesamt-
schuldnerausgleichs nach §§ 421 ff. BGB
möglich ist.
Der Klassiker: Der Arbeitgeber
übernimmt die Verteidigerkosten
Es stellt in Amnestievereinbarungen
eine übliche Regelung dar, dass sich
der Arbeitgeber zur Übernahme der
Rechtsverteidigerkosten eines Mitar-
beiters verpflichtet. Arbeitnehmer wer-
den meist nur dann zur Aufklärung
bereit sein, wenn sie im Falle einer
Strafverfolgung vor finanziellen Belas-
tungen geschützt sind, die durch eine
anwaltliche Begleitung entstehen. Als
Voraussetzung für die Übernahme der
Anwaltskosten sollte eine Amnestiever-
einbarung allerdings regeln, dass der
Mitarbeiter nicht wegen einer vorsätz-
lich begangenen Straftat rechtskräftig
verurteilt wird. Auch ist es üblich, dass
die durch den Arbeitgeber zu tragenden
Anwaltskosten durch einen Maximalbe-
trag begrenzt werden.
Freistellung von Bußgeld: Wenn das
Unternehmen die Strafe bezahlt
In Amnestieprogrammen verpflichten
sich Unternehmen häufig, ihre Mit-
arbeiter von Geldstrafen und Bußgel-
dern freizustellen. Die Übernahme von
Geldstrafen stellt nach dem BGH (Ur-
teil vom 7.11.1990, Az. 2 StR 439/09)
keine Strafvereitelung nach § 258 Abs.
2 StGB dar. Dennoch ist die Übernah-
me von Bußgeldern, die im Zusam-
menhang mit einem das Unternehmen
schädigenden Verhalten stehen, für
Arbeitgeber nicht unproblematisch.
Es ist rechtlich umstritten, wann die
Grenze zur Untreue nach § 266 StGB
überschritten ist.
Nach einer Ansicht soll die arbeit-
geberseitige Freistellung von Bußgeldern
unzulässig sein, wenn die Handlung des
Mitarbeiters pflichtwidrig war und zu
Schadenersatzansprüchen führt. Dage-
gen hat der BGH (Urteil vom 7.11.1990,
Az. 2 StR 439/09) selbst bei vorsätzlichen
Taten solche Fallgestaltungen anerkannt,
in denen eine schwere Pflichtverletzung
des Mitarbeiters und damit eine Untreue
abzulehnen sind. Letztlich muss der
strafrechtliche Tatbestand einer Untreue
im konkreten Einzelfall geprüft werden.
Dabei kommt es darauf an, ob dem Un-
ternehmen durch die Übernahme von
Geldbußen ein entsprechender Vorteil
gegenübersteht.
Neben einzelnen Inhalten einer Amnestievereinbarung sollte der Betriebsrat nicht
vergessen werden – auch wenn nicht zwingend ein klares Mitbestimmungsrecht
bestehen muss.
Regelmäßig ist mit einem Amnestieprogramm ein umfangreicher Befragungsprozess
der Arbeitnehmer verbunden. Hier ist umstritten, ob dem Betriebsrat ein Mitbestim-
mungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG („Fragen der Ordnung des Betriebs oder des
Verhaltens der Arbeitnehmer“) eingeräumt wird. Ein Mitbestimmungsrecht kann insbe-
sondere dann bestehen, wenn sich die Befragung auch auf verhaltensbezogene Themen
bezieht, die nicht Teil der Arbeitsleistung sind. Weiter kann dem Betriebsrat ein Mitbe-
stimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG („technische Überwachung“) eingeräumt
werden. Dies ist dann der Fall, wenn die Erkenntnisse der Befragung automatisiert
verarbeitet und mit anderen Erkenntnissen abgeglichen werden. Insgesamt ist es aus
Gründen der Rechtssicherheit empfehlenswert, den Betriebsrat bei einem Amnestiepro-
gramm zu beteiligen.
Den Betriebsrat beteiligen
MITBESTIMMUNG