personalmagazin 9/2016 - page 74

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RECHT
_MINDESTLOHN
personalmagazin 09/16
S
eit dem 1. Januar 2015 ist der
gesetzliche Mindestlohn für
jede tatsächlich geleistete Ar-
beitsstunde zu zahlen. Mit der
Einführung des Mindestlohngesetzes
(MiLoG) wurden auch zahlreiche Fragen
zur Auslegung diskutiert, erste Entschei-
dungen der Instanzgerichte gab es zu-
dem schon sehr früh nach Inkrafttreten
des Gesetzes im Jahr 2015. Seitdem ver-
suchen Arbeitgeber, ihre Entgeltregelun-
gen – soweit möglich – anzupassen.
Eineinhalb Jahre nach der Einführung
des allgemeinen gesetzlichen Mindest-
lohns hat sich nun erstmals das Bundes-
arbeitsgericht (BAG) in zwei aktuellen
Entscheidungen (Az. 5 AZR 716/15 und
Az. 5 AZR 135/16), zu denen bislang
lediglich Pressemitteilungen vorliegen,
mit zwei Fragestellungen zu diesem The-
menkomplex beschäftigt. Konkret ging
es um die folgenden Fragen:
• Können Sonderzahlungen wie Urlaubs-
und Weihnachtsgeld auf den Mindest-
lohn angerechnet werden?
• Sind auch Bereitschaftszeiten mit dem
gesetzlichen Mindestlohn zu vergüten?
Die aktuellen Entscheidungen zeigen
die große praktische Relevanz des The-
mas „Mindestlohn“. Letztlich klären bei-
de Urteile des Bundesarbeitsgerichtes
zumindest zwei der offenen Fragen und
sorgen daher für mehr Rechtssicherheit.
Die Entscheidungen zeigen, dass Ar-
beitgeber die Verpflichtung, für welche
Zeiten der Mindestlohn zu zahlen ist, ge-
nau prüfen sollten. Gleiches gilt auch für
verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten,
Von
Katrin Scheicht
beispielsweise im Hinblick auf Sonder-
zahlungen. Werden die gesetzlichen Vo-
raussetzungen nicht eingehalten, sind
Arbeitgeber zu weiteren Zahlungen ver-
pflichtet, um den gesetzlichen Mindest-
lohnanspruch zu erfüllen. Umgekehrt
können durch eine wirksame Gestaltung
zu hohe Zahlungen vermieden werden.
Anrechnung von Sonderzahlungen
In der Entscheidung des BAG vom 25.
Mai 2016 (Az. 5 AZR 135/16) ging es um
einen Aspekt der in der Praxis viel dis-
kutierten Frage, ob und welche geldwer-
ten Leistungen an den Arbeitnehmer als
Erfüllung des Mindestlohnanspruchs
angesehen werden können. Konkret
im Streit stand die Anrechnungsmög-
lichkeit von Sonderzahlungen auf den
Mindestlohn: Die Mitarbeiterin hatte
gemäß ihres Arbeitsvertrags neben dem
Monatsgehalt Anspruch auf Zuschläge
für Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertags-
arbeit sowie Urlaubs- und Weihnachts-
geld. Vor Einführung des Mindestlohn-
gesetzes vereinbarte der Arbeitgeber
mit dem Betriebsrat, dass Urlaubs- und
Weihnachtsgeld monatlich zu je einem
Zwölftel ausgezahlt werden und führte
dies entsprechend durch. Die Mitarbei-
terin argumentierte, diese Sonderzah-
lungen könnten nicht auf den Mindest-
lohn angerechnet werden; das Gericht
sah dies aber anders:
Sonderzahlungen können nach Auf-
fassung der Richter dann auf den Min-
destlohn angerechnet werden, wenn
diese als Gegenleistung für die erbrachte
Arbeit gezahlt werden und die Zahlung
dem Arbeitnehmer endgültig verbleibt.
Dies war in dem der Entscheidung zu-
grundeliegenden Sachverhalt der Fall.
Aus der Pressemitteilung ist noch
nicht ersichtlich, wann die Vorausset-
zung, „dass die Zahlung dem Arbeitneh-
mer endgültig verbleiben muss“ erfüllt
ist und wann nicht. Zu überlegen ist,
ob diese Voraussetzung auch dann vor-
liegt, wenn die Zahlung an einen wirk-
samen Widerrufsvorbehalt geknüpft
ist. Gleiches gilt auch für Stichtags- und
Rückzahlungsklauseln, wenn das Ar-
beitsverhältnis zu einem bestimmten
Zeitpunkt nicht mehr besteht. Allerdings
sind die letztgenannten Klauseln ohne-
hin nur noch wirksammöglich, wenn die
Zahlung gerade keine Gegenleistung für
erbrachte Arbeit darstellt, sondern zum
Beispiel die Betriebstreue belohnt. In
einem solchen Fall wäre schon die erste
Voraussetzung für die Anrechnung auf
den Mindestlohn nicht erfüllt.
Offengelassen hat das Gericht wohl
auch, ob die anteilige Auszahlung pro
Monat eine zwingende Voraussetzung
ist. Unabhängig davon, wie dieser Punkt
möglicherweise in den Entscheidungs-
gründen beantwortet wird, sollten
Arbeitgeber beachten, dass der Mindest-
lohn nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MiLoG
spätestens am Ende des Monats gezahlt
Zwei Fragen weniger
URTEILE.
Seit gut eineinhalb Jahren gilt nun der gesetzliche Mindestlohn. Noch immer
bestehen jedoch viele Auslegungsfragen. Zumindest zwei hat das BAG nun beantwortet.
RECHNER
Der Mindestlohnrechner in unserer
App berechnet den Stundenlohn unter
Berücksichtigung der wichtigsten anre-
chenbaren Bestandteile der Mitarbeiter.
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