personalmagazin 5/2015 - page 71

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05/15 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
Urlaubsansprüche. Da der EuGH bereits
die Urlaubskürzung beim Wechsel in
Teilzeit als diskriminierend verboten hat,
ist zweifelhaft, ob er in der Folge eine
Verweigerung der Teilzeit wegen des von
ihm zugesprochenen Urlaubs anerkennt.
Im Falle dauererkrankter Arbeitneh-
mer gewährleistet die Unterscheidung
von gesetzlichem (Mindest-)Urlaub und
tariflichem/vertraglichem Mehrurlaub
zumindest den Verfall des tariflichen/
vertraglichen Mehrurlaubs zum Jahres-
ende. Eine ähnliche Lösung ist auch bei
der Kürzung des Urlaubs wegen Teilzeit
denkbar. Geht man davon aus, dass viele
Tarifregelungen/Arbeitsverträge bereits
die Unterscheidung von gesetzlichem
und tariflichem/vertraglichem Mehrur-
laub aufgenommen haben, könnte hier
einfach ein weiterer Absatz aufgenom-
men werden, der regelt, dass zumin-
dest der über den gesetzlichen Urlaub
hinausgehende tarifliche/vertragliche
Mehrurlaub bei einem Wechsel in Teil-
zeit anteilig gekürzt wird.
In dem vom BAG jetzt entschiede-
nen Fall sah der TVöD jedenfalls keine
explizite Unterscheidung zwischen ge-
setzlichem und tariflichem Urlaub vor.
Da allerdings der EuGH den Anspruch
auf Jahresurlaub (ohne Unterscheidung
nach Rechtsgrundlage) als bedeutenden
Grundsatz des europäischen Sozialrechts
dargestellt und das BAG nach der Pres-
semeldung zu der Entscheidung vom 10.
Februar 2015 von der Unwirksamkeit der
TVöD-Tarifnorm ausgeht, ist der Bestand
einer solchen Klausel nicht sichergestellt.
Politisch unkorrekte Ansätze – oder
was nur Frauen sagen dürfen
Weitere Möglichkeiten, die Problematik
zu umgehen, sind so simpel wie poli-
tisch unkorrekt. Um die Tragweite der
Thematik aber umfassend (und ehrlich)
zu beleuchten, haben wir uns trotzdem
erlaubt, die absehbaren Folgen offen an-
zusprechen. Denn, es liegt auf der Hand,
dass sich Arbeitgeber nach der neuen
Rechtsprechung mehr denn je die fol-
genden Fragen stellen werden:
• Stelle ich Frauen, gar solche im „kriti-
schen“ Alter, überhaupt noch ein?
• Wenn ja, wage ich diesen Schritt auch
bei Schlüsselpositionen, wo eingeplan-
te Frauen dann fehlen, weil sie nach
der Elternzeit langen Urlaub nehmen?
• Lehne ich Teilzeitgesuche nicht bes-
ser einfach pauschal ab und warte,
wer sich sein Recht erstreitet?
So plakativ und zugegebenermaßen pro-
vokant diese Fragen auch sein mögen,
so haben sie doch einen wahren und vor
allem bedauerlichen Kern. Auch bei den
dauererkrankten Arbeitnehmern hat
der EuGH vermeintlich zum Schutz die-
ser Arbeitnehmergruppe „Gutes“ getan
und den Verfall von Urlaubsansprüchen
verhindert. Folge dieser Rechtspre-
chungsänderung ist aber mitunter, dass
die dauererkrankten Arbeitnehmer, die
bislang einfach weitergeführt wurden,
nun wegen der Urlaubskumulation ge-
kündigt werden.
Diesen Gedanken fortsetzend, stellt
sich bei der hier beleuchteten Rechtspre-
chungsänderung die Frage, ob flexible
Lebensmodelle mit dem Kürzungsverbot
von Resturlaub bei Teilzeitwechsel um
ein weiteres erschwert worden sind. Es
drängt sich jedenfalls der Eindruck auf,
dass der EuGH erneut einer ohnehin
schlechter gestellten, schutzwürdigen
Arbeitnehmergruppe einen Bärendienst
erwiesen hat. Es bleibt zu hoffen, dass
das BAG ähnlich wie bei den dauerer-
krankten Arbeitnehmern hier Grenzen
zieht. Ein Ansatz hierfür wäre in der
Presseerklärung zur Entscheidung mit
dem Erfordernis, „Urlaub konnte vor
dem Wechsel nicht genommen werden“,
angelegt. Bleibt zu hoffen, die Entschei-
dungsgründe bestätigen, dass das Kür-
zungsverbot „nur“ dann einschlägig ist,
wenn der Grund für die nichterfolgte Ur-
laubsnahme ausschließlich in der Sphä-
re des Arbeitgebers liegt. So könnten
zumindest arbeitnehmerseitig provo-
zierte Fälle verhindert werden.
Berechnung des Urlaubsentgeltes
nach Voll- oder Teilzeitgehalt?
Die BAG-Pressemeldung enthält keine
Angaben über die Berechnung des Ur-
laubsentgelts für die unter Vollzeit er-
worbenen Urlaubsansprüche, insofern
ist abzuwarten, ob die Urteilsbegrün-
dung des BAG Klarheit liefert. Auch in
der auf einem deutschen Ausgangsfall
basierenden Entscheidung des EuGH
(Brandes/Land Niedersachsen), in der
der EuGH das Verbot der Urlaubskür-
zung bei Wechsel von Voll- in Teilzeit
auch für die deutsche Gesetzeslage be-
kräftigt hat, ging es nur um die Anzahl
der Urlaubstage, nicht jedoch um das
Urlaubsentgelt. Allerdings hatte sich der
EuGH bereits in der Tirolentscheidung
vom 22. April 2010 zu dieser Thematik
geäußert und entschieden, dass sowohl
die anteilige Reduzierung von während
der Vollzeit erworbenen Urlaubsan-
sprüchen, als auch die Vergütung des
Urlaubstages mit der geringeren Teil-
zeitvergütung gegen Europarecht ver-
stoßen. Soweit damals noch eine Über-
tragung dieser Rechtsprechung wegen
der abweichenden deutschen Urlaubs-
gesetzgebung vertreten wurde, kann
dies nach der Brandes-Entscheidung
wohl auch in Bezug auf die Vergütung
nicht mehr aufrechterhalten werden.
DR. KATHRIN KENTNER
ist
Fachanwältin für Arbeitsrecht
und Partnerin bei Beiten
Burkhardt in München.
ANNE PRASS
ist Fachanwäl-
tin für Arbeitsrecht bei Beiten
Burkhardt in München.
Es stellt sich die Frage,
ob flexible Lebens-
modelle mit dem neuen
Kürzungsverbot von
Resturlaub bei Teilzeit-
wechsel um ein weiteres
erschwert worden sind.
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