grundls grundgesetz
Boris Grundl
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wirtschaft + weiterbildung
11/12_2017
Wie viele Menschen kennen Sie, die unbedingt
recht haben wollen? Solche, bei denen der Wunsch
nach schneller Anerkennung das Ringen um die
beste Lösung dominiert. Was andere toll hinkriegen,
ist für sie „nur Glück“. Doch wehe, wenn einer (der
Bote) diese Herabwürdigung entlarvt. Der Blick
des Entlarvten in den Spiegel (Botschaft) hätte
schmerzhafte Folgen für den, der es angesprochen
hat.
Unsere Sicht auf die Welt richtiger zu finden als die
anderer, ist ein sehr natürliches Gefühl. Es folgt
unserem Wunsch nach Stärke und dem oft unter-
drückten Streben nach Dominanz und damit Kon-
trolle. Doch es entwertet unsere Toleranz zum gön-
nerhaften Gnadenakt. Unbewusst schauen wir nicht
nur auf dessen Haltung, sondern auf den ganzen
Menschen herab: Es ist schwer, Bote und Botschaft
zu trennen.
Ein Gedankenexperiment: Es zeigt sich, dass
jemand lügt, um einen Nachteil zu vermeiden. Er
wird durch schnelle, vertrauensvolle Kommunika-
tion entlarvt. Die Lüge (Botschaft) kommt durch
einen, der mitdenkt und hinterfragt (Bote) ans Licht.
Der Lügner wird allen Beteiligten bekannt. Auf wen
wird er böse sein? Natürlich auf den, der ihn ent-
larvt hat und damit auf den Boten. Doch macht es
nicht mehr Sinn, auf den Urheber der Lüge wütend
zu sein? Vorträge und Seminare zeigen das noch
verblüffender. Viele Zuhörer identifizieren den Refe-
renten mit dem Inhalt. Doch mal stammt der Inhalt
(Botschaft) aus eigener Feder, mal aus anderer
Quelle, und manchmal wurde „Fremdgeborenes“
weiterentwickelt. Der Referent bleibt immer Bote
und seine Inhalte bleiben immer die Botschaft. Es
ist erstaunlich, wie wenige Menschen Inhalte los-
gelöst vom Träger verstehen können. Oder wie sehr
der Bote bestimmt, ob seine Botschaft die Zuhörer
interessiert. Politische Wahlen beweisen, wie ent-
scheidender die Spitzenpersönlichkeiten als die
Inhalte sind, für die ihre Partei steht.
Im Idealfall sind Bote und Botschaft eins. Der Refe-
rent hätte seine Inhalte tief durchdrungen und wir
würden ihn als authentisch oder besser „stimmig“
wahrnehmen. Wenn eine solche Persönlichkeit
dann noch weiß, wie man Botschaften wirkungs-
voll sendet, wird es richtig stark. Charisma – die
Champions League! Leider ist das selten. Deshalb
übe ich, mich bei Vortragsbesuchen primär auf die
Inhalte zu konzentrieren. Denn die sind oft viel bes-
ser als die Präsentation. So trenne ich den durch-
schnittlichen Auftritt von den wertvollen Inhalten.
Wie das geht? Ich schaue den Referenten nicht an
und lasse mich nicht durch sein Auftreten ablenken.
Stattdessen fahre ich meinen Hörsinn hoch. Es gilt:
Je intensiver wir zuhören, desto stärker konzentrie-
ren wir uns auf den Inhalt.
Diese einfachen Beispiele zeigen, wie
schwer es ist, Bote und Botschaft zu
trennen. Und wie schwer es dadurch ist,
über sich selbst hinauszudenken. Wie
beim „recht haben wollen“. Überlegen Sie
doch einmal, wie oft auch in Partnerschaftsstreits
dieses Motiv dominiert und was daraus folgt – ein
Ungleichgewicht im Erfassen der eigenen Person
und der eines anderen. Was für ein Unterschied zwi-
schen Ansprüchen an sich selbst und ans Gegen-
über! Überprüfen Sie das immer! Die Schauspielerin
Valerie von Martens drückte es auf ihre Art aus: „Es
wäre eine Freude zu leben, wenn jeder die Hälfte
täte, was er von anderen verlangt.“
Paragraf 60
Trenne den Boten von
der Botschaft
Boris Grundl ist Managementtrainer und Inhaber der Grundl Leadership Akademie, die Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden.
Er gilt bei Managern und Medien als „der Menschenentwickler“ (Süddeutsche Zeitung). Sein jüngstes Buch heißt „Verstehen heißt nicht einverstanden sein“ (Econ
Verlag, Oktober 2017). Boris Grundl zeigt, wie wir uns von oberflächlichem Schwarz-weiß-Denken verabschieden. Wie wir lernen, klug hinzuhören, differenzierter zu
bewerten, die Perspektiven zu wechseln und unsere Sicht zu erweitern.
Bei Vorträgen versuche ich, mich auf
die Inhalte zu konzentrieren. Die sind
oft viel besser als die Präsentation.
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