WOHNUNGSPOLITISCHE INFORMATIONEN 40/2016 - page 9

EXPO REAL 2016 – SONDERAUSGABE
Kreditklemme durch EU-Richtlinie – Gesetzgeber muss nachbessern
München – Seit März dieses Jahres gilt die EU-Richtlinie für Immobilienkredite in Deutschland. Sie hinterlässt bereits
deutliche Spuren in der Immobilienwirtschaft – und leider keine guten. Immer mehr Institutionen berichten von Benach-
teiligungen bei der Kreditvergabe und von Altersdiskriminierung. Experten diskutierten am 4. Oktober 2016 am Stand
der Bundesarbeitsgemeinschaft Immobilienwirtschaft Deutschland (BID) auf der Expo Real über den Ernst der Lage.
„Die Immobilienkreditrichtlinie verfolgt ja
den durchaus gut gemeinten Ansatz, Ver-
braucher vor Kreditaufnahmen zu schüt-
zen, mit denen sie sich langfristig über-
schulden würden. In der Umsetzung
wurde dann aber leider deutlich über das
Ziel hinausgeschossen“, sagte
Hans Peter
Trampe
, Vorstand der Dr. Klein Firmenkun-
den AG. So könnten beispielsweise Kre-
ditnehmer zu jung oder zu alt sein. „Im
Endeffekt entmündigt die Immobilienkre-
ditrichtlinie sowohl Kreditnehmer als auch
-geber und schafft nur eine Scheinsicher-
heit“, so Trampe.
Hans-Joachim Beck
, Steuer-Experte
beim Immobilienverband Deutschland
IVD, erklärte die Problematik: „Aus unse-
rer Sicht stellt die Neuregelung eine ver-
fassungswidrige Altersdiskriminierung dar,
weil Menschen, die über 60 Jahre alt sind,
keinen Kredit mehr bekommen. Ursache
ist die Formulierung in dem neu geschaffe-
nen §§ 505a Absatz 1 Bürgerliches Gesetz-
buch und 18a Absatz 1 Kreditwesengesetz,
nach denen ein Kredit nur vergeben wer-
den darf, wenn wahrscheinlich ist, dass der
Darlehensnehmer den Kredit vertragsge-
mäß erfüllen wird.“ Dies verstünden die
Banken so, dass die Laufzeit des Darle-
hens nicht länger sein darf als die statisti-
sche Lebenserwartung des Darlehensneh-
mers. Ebenso würden derzeit junge Paare
mit Kinderwunsch benachteiligt. Bei ihnen
prüfe die Bank das Einkommen der nächs-
ten 30 Jahre. Die Kreditgeber befürchten,
dass ein Partner bald nicht mehr arbeitet
und der andere das Darlehen alleine nicht
bedienen kann.
„Die derzeitige Handhabung durch die
Banken führt zu einer sozialpolitischen
Katastrophe. Insbesondere junge Familien
mit durchschnittlichen Einkommen werden
vollständig von der Eigentumsbildung aus-
geschlossen. Wenn sparen in Zeiten von
negativen Zinsen nicht mehr als Instrument
der Alterssicherung dienen kann, gewinnt
die selbstgenutzte Immobilie umso mehr
an Bedeutung“, stellte
Dirk Salewski
, Vor-
stand bei der beta Eigenheim- und Grund-
stücksverwertungsgesellschaft mbH, klar.
Alle Beteiligten der Diskussionsrunde
waren sich einig: Die Politik muss dringend
nachsteuern. „Der ausschließliche Blick auf
die derzeitige und zu erwartende Bonität
des Kunden ist ein Blick in die Glaskugel
und nicht der richtige Ansatz. Ein ausge-
wogener Mix zwischen Bonität und Wert-
betrachtung der Immobilie muss in das Kre-
ditgeschäft einfließen“, sagte
Anita Bilic
,
stellvertretende Bundesgeschäftsführerin
beim Bundesverband Freier Immobilien-
und Wohnungsunternehmen (BFW).
„Zwischen den Verbänden der Deutschen
Kreditwirtschaft, unter anderem dem Ver-
band deutscher Pfandbriefbanken, und
den betroffenen Bundesministerien wer-
den aktuell die Auswirkungen der Kredit-
würdigkeitsprüfung gemäß Wohnimmo-
bilienkreditrichtlinie diskutiert. Die DKB
bringt sich hier aktiv ein“, beschrieb
Holm
Vorpagel
, Bereichsleiter Infrastruktur
der Deutschen Kreditbank AG (DKB), die
gegenwärtige Situation.
Aus Sicht einiger Diskussionsteilnehmer
könnte der Gesetzgeber mit wenigen
Handgriffen schnell und unkompliziert
nachbessern. So müsste beispielsweise die
ursprüngliche Formulierung der EU-Richt-
linie nur wörtlich übernommen werden,
nach welcher ein Kredit nur vergeben wer-
den darf, wenn das Darlehen wahrschein-
lich vertragsgemäß erfüllt wird. Aufgrund
dieser im Passiv gehaltenen Formulierung
ist es unerheblich, ob dies der Darlehens-
nehmer selbst ist oder sein Erbe, ein Bürge
oder eine Lebensversicherung.
(sen/schi)
Foto: Büro Roman Lorenz
Diskutierten über
die Wohnimmo-
bilienkreditrichtli-
nie: Dirk Salewksi
(beta), Holm Vor-
pagel (DKB), Mo-
deratorin Anita
Bilic (BFW), Hans
Peter Trampe (Dr.
Klein) und Hans-
Joachim Beck
(IVD) (v. l.)
Darüber hinaus ist es aus Sicht der Woh-
nungswirtschaft völlig unrealistisch zu mei-
nen, man könne das Wirtschaftlichkeitsge-
bot bei einem verschärften Ordnungsrecht
allein durch Förderung gewährleisten.
„Was wir brauchen, ist endlich ein prak-
tikabler Ansatz, um die Energieeffizienz
im Gebäudebereich mit wirtschaftlich
vertretbaren Maßnahmen zu gewährleis-
ten. Außerdem muss es Anreize geben,
die effizientesten und kostengünstigsten
CO
2
-Minderungsmaßnahmen umzusetzen.
Dazu gehört eine absolute Technologieof-
fenheit, die eine Brennstoffoffenheit ein-
schließt“, sagte Esser. „Starre Vorgaben für
die Nutzung oder Nichtnutzung bestimm-
ter Energieträger oder für den Endenergie-
bedarf helfen nicht weiter. Klimaschutz ist
allein an der CO
2
-Minderung zu messen.
Der Klimaschutzplan wie auch die EnEV-
Novelle müssen daher die entsprechenden
Technologien und Möglichkeiten umfas-
send berücksichtigen.“ Der GdW hat mit
seiner Energiestrategie zur Energiewende,
der Energieprognose 2050 und dem lau-
fenden Monitoring zur energetischen
Sanierung Lösungswege und Ziele sowie
die notwendigen Leitplanken für die Ener-
giewende im Gebäudebereich gesetzt.
Jetzt ist die Politik gefordert, gemeinsam
mit der Wohnungswirtschaft einen prakti-
kablen energiepolitischen Plan zu erstellen,
der den Vermietern und Mietern ebenso
effektiv hilft, wie dem Klimaschutz.
(schi)
Die GdW-Stellungnahme zum Klimaschutz-
plan 2050 finden Sie unter diesem Kurz-Link:
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