WOHNUNGSPOLITISCHE INFORMATIONEN 40/2016 - page 4

Mehr Stadt wagen
München – Deutschlands Ballungsräume brauchen mehr bezahlbaren Wohnraum. Wo und wie aber soll er entstehen? Dar-
um ging es am 5. Oktober 2016 auf dem BID-Stand bei der Podiumsdiskussion „Das Urbane Quartier der Zukunft – mit mehr
Dichte und größerer Nutzungsvielfalt“. Die Diskutanten waren sich einig: Angesichts begrenzter Flächen und steigender
Grundstückspreise gibt es zu mehr Dichte keine Alternative. Damit Dichte aber nicht zur Enge wird, sind allerdings auch mo-
dernes Flächen-, Sozial- und Konfliktmanagement immer wichtiger.
Dichte hat viele Gesichter. Ob in großen
Siedlungen, neuen Stadtquartieren oder
bei der Quartiersergänzung: Immer geht
es darum, das Zusammenleben möglichst
ressourcensparend zu organisieren. Dichte
bietet viele Vorteile – allen anderen voran
kurze Wege, die Möglichkeit zu einer
guten Infrastruktur oder gute Ansätze für
effizienten Energie- und Klimaschutz. Aber
auch wenn mehr Dichte Nutzungskon-
flikte zum Beispiel zwischen Gewerbe und
Wohnen verringern kann, so birgt sie doch
das Risiko sozialer Konflikte bis hin zur Bil-
dung sozialer Brennpunkte. „Mehr Dichte
wagen heißt mehr Stadt wagen, mit all
ihren Konsequenzen. Deshalb muss dabei
immer auch eine leistungsfähige Verkehrs-
und Sozialinfrastruktur, vielfältige Bele-
gung, hoher architektonischer Anspruch
und eine urbane DNA von Anfang an mit-
gedacht werden. Eine größtmögliche Nut-
zungsdurchmischung und ein modernes
Sozialmanagement gehören für mich in
jedem Fall dazu. Wichtig ist dabei immer
die Orientierung am Ziel des gesamtgesell-
schaftlichen Zusammenhalts“, so
Maren
Kern
, Vorstand beim Verband Berlin-Bran-
denburgischer Wohnungsunternehmen
(BBU). Dr.
Bernd Hunger
, Vorsitzender
des Kompetenzzentrums Großsiedlungen,
wies auf einen weiteren Aspekt hin: „Die
großen Städte werden nicht umhinkom-
men, neue Wohnbebauung am Stadtrand
zu errichten. Aber nach welchen Kriterien?
Es liegt auf der Hand, die Erfahrungen
mit dem Bau von großen Wohnsiedlun-
gen und Stadtteilen auszuwerten, die im
20. Jahrhundert errichtet wurden. Ebenso
interessant ist der Rückblick auf den Schub
des Wohnungsbaugeschehens der 1990er
Jahre, als große innerstädtische Konversi-
onsflächen bebaut wurden und gleichzei-
tig neue Stadtteile auf der grünen Wiese
entstanden. Aus diesen Erfahrungen her-
aus lassen sich Grundsätze für den Bau
neuer Stadtteile ableiten, wie die Über-
schaubarkeit neuer Quartiere, die Balance
zwischen urbanem und grünem Wohnen
sowie die maßstäbliche, dem jeweiligen
Ort angepasste Dichte und Funktionsmi-
schung.“ Dr.
Jan Röttgers
, Managing
Director der ECE Development & Consul-
ting GmbH, unterstrich: „Die moderne
Stadt soll eine Stadt der kurzen Wege
werden, in der Wohnen, Arbeiten, Han-
del, Kultur und Freizeit in perfekter Symbi-
ose in einem Quartier verwirklicht werden
können. Die strikte Funktionstrennung von
Städten, die in der Charta von Athen als
Ideal festgeschrieben wurde, entspricht
nicht mehr den Wünschen der Men-
schen, so dass ein Umdenken notwendig
geworden ist.“ Doch, so
Sven Keussen
,
Geschäftsführender Gesellschafter der
Rohrer Immobilien GmbH: Durch Verdich-
nigt und in einem vereinfachten Verfahren
ausgewiesen werden.“ Dringend nötig sei
nun auch eine mutigere Reform des Bauge-
setzbuches (BauGB) und der Baunutzungs-
verordnung, so Dr.
Andreas Mattner
,
Präsident des Zentralen Immobilien Aus-
schusses (ZIA). Beides müsse an die Anfor-
derungen eines modernen städtebaulichen
Leitbilds mit einem gesunden Mix aus Woh-
nen, Arbeiten und Versorgung angepasst
werden. „Deshalb muss sichergestellt
sein, dass der neue Gebietstyp ‚Urbanes
Gebiet‘ auch tatsächlich eine höhere bau-
liche Dichte ermöglicht. Zudem müssen die
veralteten Vorgaben der technischen Anlei-
tung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm)
parallel an aktuelle städtische Lebensbe-
dingungen und den Stand des technisch
Möglichen angepasst werden.“
„Wir müssen nun gemeinsam mit der Poli-
tik eine Investitionsoffensive starten, damit
schnellstmöglich kostengünstig Wohnun-
gen für alle Wohnungssuchenden in den
Städten entstehen können“, sagte
Axel
Gedaschko
, Präsident des GdW Bundes-
verband deutscher Wohnungs- und Immo-
bilienunternehmen. „Dafür muss dringend
die Vergabe von Bauland beschleunigt
werden. Darüber hinaus sollte Wohnbe-
bauung nach § 34 BauGB im Innenbereich
von Städten erleichtert werden.“ Den Kom-
munen sollte zur Erleichterung des Bauens
in stark verdichteten städtischen Gebieten
mehr Flexibilität eingeräumt werden. „Um
den Wohnungsbau wirklich anzukurbeln,
brauchen wir endlich auch bessere steuerli-
che Bedingungen für den Wohnungsbau“,
so Gedaschko. Dafür sei eine Erhöhung
der linearen Abschreibung für Abnutzung
(AfA) von zwei auf mindestens drei Prozent
sowie eine Investitionszulage für den Woh-
nungsneubau notwendig.
Allem voran müsse der wohnungspoli-
tische Steuerwettlauf von Ländern und
Kommunen endlich ein Ende haben,
betonte
Jürgen Michael Schick
, Präsi-
dent des Immobilienverbandes IVD: „Die
Sätze zur Grunderwerbsteuer müssen
bundesweit wieder auf einen investitions-
freundlichen Satz gesenkt werden. Des-
halb muss der Länderfinanzausgleich so
angepasst werden, dass Länder mit einem
niedrigen Steuersatz nicht mehr benach-
teiligt werden.“ Auch beim Gesetzentwurf
zur Grundsteuerreform gibt es Korrektur-
bedarf, so Schick: „Die ständigen Anhe-
bungen der Grundsteuer-Hebesätze lassen
befürchten, dass die Kommunen die anste-
hende Gesetzesreform für verdeckte Steu-
ererhöhungen nutzen könnten. Mieter
und Selbstnutzer dürfen hier nicht stärker
zur Kasse gebeten werden!“
Wolfgang
D. Heckeler
, Präsident des Dachverban-
des Deutscher Immobilienverwalter (DDIV),
warnte, dass die Bundesregierung das
Eigentumssegment nicht aus den Augen
verlieren dürfe. „Eigentum trägt einen ent-
scheidenden Anteil daran, angespannte
Wohnungsmärkte in Ballungsräumen
nachhaltig zu entlasten. Die Einführung
einer Freizugsprämie für selbstnutzende
Wohnungseigentümer könnte auch unte-
ren und mittleren Einkommensschichten
den Sprung ins Eigenheim ermöglichen.
Die größte Hürde ist schließlich oftmals das
erforderliche Eigenkapital von etwa 20 bis
30 Prozent. Dies gilt insbesondere seit der
im März in Kraft getretenen Wohnimmo-
bilienkreditrichtlinie.“ Mit einer Koppe-
lung der Prämie an Einkommensgrenzen
könnte diese zielgruppengerecht wirken,
so Heckeler.
„Das Bündnis für bezahlbares Wohnen und
Bauen ist erfolgserprobt“, sind sich die BID-
Vertreter einig. Nun gehe es darum, die
Umsetzung zu beschleunigen. „Jetzt sind
alle Teile der Bundesregierung, die Länder
und die Kommunen gefragt, mit der Immo-
bilienbranche an einem Strang zu ziehen.
Nur so können wir die gesamtgesellschaft-
liche Aufgabe stemmen und für mehr
bezahlbaren Wohnraum für alle Bürgerin-
nen und Bürger in Deutschland sorgen“,
resümiert der BID-Vorsitzende Andreas Ibel.
(hop/schi)
Fortsetzung von Seite 3
EXPO REAL 2016 – SONDERAUSGABE
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