Personalmagazin 11/2018 - page 97

betrachtet jedoch in sich – schließlich kann es, je nach Ausgangs-
lage, zu unterschiedlichen Resultaten bei der Berücksichtigung
von Mutterschutzzeiten kommen.
Letztlich hängt das Ergebnis davon ab, ob die Zeiten des Mut-
terschutzes im Laufe des aktuellen oder (teilweise oder vollstän-
dig) im darauffolgenden Kalenderjahr zu verorten sind. Lediglich
im letzteren Fall kommt es zur Einstufung als „verdienstlose“
Zeit – die Rechtswirkung also, die auch im Streitfall des BSG ein-
getreten war. In diesen Fällen wird der Arbeitgeber nämlich im
Zusammenhang mit seiner jährlich durchzuführenden Prognose
tätig. Hierbei sei es laut BSG nicht zulässig, eine Unterschreitung
der Jahresarbeitsentgeltgrenze mit der Erwägung zu ignorieren,
dass diese nur vorübergehend sei. Dies gelte auch dann, wenn es
sich – wie es bei den Schutzfristen nach demMutterschutzgesetz
der Fall ist – um einen offensichtlich lediglich vorübergehenden
Zustand handelt. Eine andere Betrachtung gelte dann, wenn
im laufenden Kalenderjahr eine Unterbrechung durch Mutter-
schutzfristen zu verzeichnen ist. Hier seien die Auswirkungen
einer vorübergehenden Entgeltminderung anders einzuschätzen,
legten die Bundesrichter dar. Schließlich könnten Veränderun-
gen im laufenden Kalenderjahr auch für den umgekehrten Fall
– dann nämlich, wenn sich unterjährig das Gehalt erhöht – nicht
zur Versicherungsfreiheit führen. Vielmehr könne diese grund-
sätzlich nur im Zusammenhang mit der zum Jahreswechsel zu
erstellenden Prognose erfolgen.
Die Auswirkungen: Nicht nur Mitarbeiter, auch
Arbeitgeber sind vom Urteil betroffen
Schwangere Arbeitnehmerinnen, die als Besserverdienende
mehr als die Jahresarbeitsentgeltgrenze verdienen und sich
Gedanken darüber machen, wie sie denn während einer anste-
henden Elternzeit krankenversichert sein werden, müssen daher
folgende Alternativen beachten:
1. Ist die Geburt so terminiert, dass die entsprechenden Schutz-
fristen noch im laufenden Kalenderjahr liegen? Dann bleibt
es beim Versicherungsstatus freiwillig.
2. Fällt die entsprechende Schutzfrist (oder Teile davon) ins
Folgejahr? Dann kommt es darauf an, ob das am Jahresende
vom Arbeitgeber zu prognostizierende voraussichtliche Entgelt
im Folgejahr noch die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschrei-
tet. Dabei werden jedoch die Schutzfristen als „entgeltfreie
Zone“ nicht hineingerechnet.
Das BSG-Urteil ist aber keineswegs nur das private Problem
von Mitarbeiterinnen. Vielmehr ist es ebenso – beispielsweise
haftungsrechtlich – für die Entgeltabrechnung von erheblicher
Bedeutung. Schließlich hat das BSG den Grund seiner Urteils-
findung im pflichtwidrigen Handeln des Arbeitgebers verortet.
Daher ist zu beachten: Nach der Mitteilung einer besserver-
dienenden Arbeitnehmerin über ihre Schwangerschaft ist der
Krankenversicherungsstatus zu prüfen. Zu differenzieren ist
dabei, ob die Schutzfristen noch innerhalb des laufenden Ka-
lenderjahres auftreten oder ob sie sich in die Zeit des anschlie-
ßenden Kalenderjahres hinziehen. Im ersten Fall werden die
Schutzfristen als einmaliges Phänomen bezeichnet, das (noch)
nicht zu einer Versicherungspflicht führt. Im zweiten Fall ver-
THOMAS MUSCHIOL ist Rechtsanwalt
im Arbeits- und betrieblichen
Sozialversicherungsrecht in Freiburg.
WEITERE ENTSCHEIDUNGEN
IN DIESEM MONAT
Ausschlussklauseln ohne Mindestlohnausnahme
Eine arbeitsvertragliche Ausschlussklausel, die nicht zwi-
schen den Ansprüchen auf den Mindestlohn und sonstigen
Ansprüchen unterscheidet, ist unwirksam. Das hat das
BAG (Urteil vom 18.9.2018, Az. 9 AZR 162/18) zumindest
für Klauseln entschieden, die nach Januar 2015 vereinbart
wurden. Im konkreten Fall musste der Arbeitnehmer daher
seinen Anspruch auf Urlaubsabgeltung nicht innerhalb der
vertraglichen Ausschlussfrist geltend machen.
Beweisverwertung von Videoüberwachung
Auch wenn die Aufnahmen aus einer rechtmäßigen
offenen Videoüberwachung bereits sechs Monate alt
sind, können sie dennoch als Beweis für eine fristlose
Kündigung herhalten. Das entschied das BAG (Urteil vom
23.8.2018, Az. 2 AZR 133/18) im Fall einer Verkäuferin, die
Geld unterschlagen haben soll. Der bloße Zeitablauf führe
nicht dazu, dass die Überwachung ein unverhältnismäßiger
Datenschutzverstoß und damit nicht verwertbar sei.
hält es sich jedoch anders. Dann befindet sich der Arbeitgeber in
einer Zukunftsprognose mit dem durch das BSG klargestellten
Unterschied: Die Zeiten der Schutzfristen bei der Festlegung des
voraussichtlichen Arbeitsentgelts müssen außen vor bleiben.
Die Praxisprobleme: Bei schwierigen Fragen
sind weitere Fehler vorprogrammiert
Für die Praxis bleibt wieder einmal die Erkenntnis: Die Ent-
scheidung des BSG mag zwar akademisch Klarheit herbeigeführt
haben, weitere Fehler bei der Frage der Versicherungspflicht
oder Versicherungsfreiheit sind jedoch vorprogrammiert. Eine
rechtzeitige Auskunftsanfrage bei der Einzugsstelle kann hier
helfen, Fehler zu vermeiden. Dies gilt im Übrigen nicht nur in
Fällen des Mutterschutzes, sondern generell für schwierige Fra-
gen bei der Beurteilung im Zusammenhang mit der jährlichen
Arbeitgeberprognose zur Versicherungspflicht. Geben Sie das
Risiko, etwas falsch oder richtig zu machen, an diejenigen weiter,
die es später gemäß § 28h Abs. 2 Satz 1 SGB IV auch verantwor-
ten sollen, wenn es vor dem Sozialgericht heißt: „Mein Arbeit-
geber hat den Versicherungsstatus falsch beurteilt.“
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Urteil des Monats
1...,87,88,89,90,91,92,93,94,95,96 98,99,100
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