personalmagazin 9/2017 - page 74

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RECHT
_ARBEITSZEIT
personalmagazin 09/17
B
eschäftigt man sich mit Flexi-
bilität in der Arbeitszeitgestal-
tung, führt dies unweigerlich
auch zu einer Diskussion über
Wohl oder Übel der gesetzlichen Rah-
menbedingungen. Während auf Ar-
beitnehmerseite die Bestimmungen
des Arbeitszeitgesetzes als zwingender
Schutzstandard hochgehalten werden,
bezeichnen Arbeitgeber einzelne Re-
gelungen als steinzeithaft, die mit mo-
dernen Formen der Arbeitsgestaltung
wenig gemein haben.
Diese Debatten helfen jedoch in der
Praxis wenig weiter. Und so gibt es
bereits taugliche Praxismodelle – de-
ren Grundlagen sind in den jeweiligen
Kästen beschrieben – innerhalb der
Grenzen des Arbeitszeitgesetzes, die
bestehende Flexibilisierungsmöglich-
keiten ausnutzen.
Wie viel Zeitsouveränität das
Arbeitsverhältnis verträgt
Vor einem näheren Blick auf die Vor-
und Nachteile dieser Modelle sei jedoch
eine grundsätzliche Frage vorangestellt,
Von
Barbara Reinhard
um die rechtlichen Grenzen abzuste-
cken: Kann bei einer selbstbestimmten
Arbeitszeit noch von einem Arbeitsver-
hältnis die Rede sein? Oder anders: Wie
viel Zeitsouveränität verträgt das Ar-
beitsverhältnis?
Zunächst war die Flexibilität in der
Arbeitszeitgestaltung von Arbeitgeber-
seite getrieben, um Produktions- und
Auslastungsschwankungen möglichst
kostengünstig aufzufangen. Heute steht
dagegen die Zeitsouveränität der Arbeit-
nehmer im Zentrum. Dies galt immer
schon für die klassischen Formen der
Teilzeitgestaltung. Denn der Gesetzge-
ber hat hier vorrangig Ansprüche der
Arbeitnehmer auf eine Zeitreduzierung
normiert, die von bestimmten Tatbe-
standsvoraussetzungen abhängig sind
– etwa im allgemeinen Teilzeitrecht, im
Rahmen der Eltern- oder Pflegezeit. In
sämtlichenFällen soll demArbeitnehmer
aufgrund besonderer Lebensumstände
eine von ihm benötigte Arbeitszeitan-
passung eingeräumt werden.
Über diese Sondergestaltung hinaus
wird nunmehr aber weit umfassender
unter den Aspekten lebenslauforien-
tierter Arbeitszeitgestaltung und zu-
friedenstellender Zeitsouveränität ein
Anspruch der Arbeitnehmer auf flexible
Arbeitszeitmodelle gefordert – unab-
hängig von anlassbezogenen Umstän-
den. Entsprechend enthält zum Beispiel
das „Weißbuch Arbeiten 4.0“ auch eine
Reihe von Reformvorschlägen, die ganz
wesentlich auf arbeitnehmerbezogene
Zeitsouveränität gerichtet sind.
Ein derart weitgehendes Selbstbestim-
mungsrecht steht jedoch inWiderspruch
zum gesetzlichen Direktionsrecht des
Arbeitgebers (§ 106 GewO). Schließlich
zählt es zur grundsätzlichen Charakte-
ristik des Arbeitsverhältnisses, dass der
Arbeitgeber Inhalt, Ort und insbesonde-
re Zeit der Arbeitsleistung einseitig nä-
her bestimmen kann.
Um eines klarzustellen: Selbstver-
ständlich können Arbeitgeber auf diese
Rechte (teilweise) verzichten oder sie
können Arbeitnehmern individualrecht-
lich oder kollektivrechtlich ausgestal-
tete Wahloptionen einräumen. Entzöge
aber der Gesetzgeber dem Arbeitgeber
das zeitliche Weisungsrecht, würde er
sich gleichzeitig sehr deutlich von dem
Vertragstyp des Arbeitsverhältnisses
entfernen. Denn besteht die Möglichkeit
der Ablehnung bestimmter Tätigkeiten
zu konkreten Zeiten und kann der Ar-
beitnehmer die Lage seiner Arbeit frei
bestimmen, so dürfte eher von einem
freien Dienstvertrag oder Heimarbeits­
verhältnis (BAG vom 14.6.2016; Az. 9
AZR 305/15) die Rede sein.
Praxismodell eins:
Die Vertrauensarbeitszeit
Die Vertrauensarbeitszeit zeichnet sich
dadurch aus, dass der Arbeitgeber auf
formale Arbeitszeitvorgaben verzichtet
und den Arbeitseinsatz imWesentlichen
über Arbeitsergebnisse steuert. Dabei
hängt es vom Praxismodell im Einzel-
nen ab, ob der Arbeitgeber bestimmte
Kernarbeitszeiten als verpflichtende
Anwesenheitszeiten, äußere Rahmen-
bedingungen wie den frühesten Beginn
und das späteste Ende oder Schwan-
kungsbreiten von Plus- und Minus-Stun-
Bestehenden Spielraum nutzen
TREND.
Mit Blick in die Zukunft fordern Arbeitgeber vehement ein neues Arbeitszeit-
recht. Bis dahin können sie bereits vorhandene Chancen zur Flexibilisierung nutzen.
Mustertext
Betriebsvereinbarung zu flexib-
ler Arbeitszeit mit Ampelkonto (HI2088087)
Die Arbeitshilfe finden Sie im Haufe
Personal Office (HPO). Internetzugriff:
ARBEITSHILFE
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